Niels Ludwig: Wir erarbeiten in dem Projekt eine wirtschaftlich umsetzbare Entsorgungsstrategie, die eine möglichst hohe Recyclingquote erzielt – wir erhoffen uns bis zu 80 Prozent – und damit eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ermöglicht. Wir sind eine gruppen- und institutsübergreifend arbeitende Recycling-Initiative aus acht Ingenieurinnen, Ingenieuren, Technikerinnen und Technikern, die aus dem Leichtbau, der Kunststofftechnik und dem Flugzeugbau kommen.
Warum liegt der Fokus ausgerechnet auf den Rotorblättern von Windkraftanlagen?
Ludwig: Bisher wurden in Deutschland knapp 30.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von über 50 Gigawatt installiert. Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie bis 2045 Klimaneutralität erreichen will. Damit gehen auch neue Ausbauziele für die Windenergie einher: Bis 2045 sollen allein offshore rund 70 Gigawatt zugebaut werden. Gleichzeitig endete bereits vergangenes Jahr die EEG-Förderung bei einigen schon errichteten Anlagen an Land, von denen manche aus dem Betrieb genommen werden. Für diese nicht mehr betriebene End-of-Life-Windenergieanlagen (EoL-WEA) und alle folgenden möchten wir die derzeit am Markt vorhandenen Recyclingkonzepte optimieren bzw. weiterentwickeln.
Was passiert denn bislang mit den Rotorblättern einer Windkraftanlage?
Ludwig: Sie werden vor Ort in kleine Stücke zersägt. Dann werden die verschiedenen Materialien separiert, da sie unterschiedlich entsorgt werden müssen. Rotorblätter bestehen – neben Metallteilen – im Hauptgurt und der Haut aus Faserverbundkunststoffen (FVK) mit Carbon- (CFK) und Glasfasern (GFK) sowie Sandwichkomponenten aus Balsaholz mit Kunststoffschäumen. Derzeit werden die GFK und die Sandwichkomponenten geschreddert und mit sogenannten Spuckstoffen versetzt im Zementwerk verbrannt. Die Wärme wird als Energie genutzt und ebenso die Asche verwertet, da aus verbrannter Glasfaser der in der Zementindustrie dringend benötigte Quarzsand entsteht. Das Verfahren ist etabliert. Aber sobald CFK statt GFK im Rotorblatt drin ist, funktioniert es nicht. Die Kohlefaser ist nicht gewünscht und wird einem anderen Entsorgungsweg zugeführt: Sie werden mittels großtechnischer Pyrolyse recycelt, dabei wird der enthaltene Kunststoff thermisch zersetzt und die Fasern können zurückgewonnen werden. Die Fasern können zu neuen Vliesen verarbeitet oder auch gemahlen in Spritzguss verwendet werden.
Aber woher wissen Sie, was verbaut ist?
Ludwig: Das ist tatsächlich nicht so einfach. Teils ist nicht mehr zu erfahren, aus was das Rotorblatt gemacht ist – zum Beispiel, weil das Unternehmen, das es vor 25 Jahren gebaut hat, nicht mehr am Markt ist. Deshalb ist eine wichtige praktische Untersuchung, der wir uns im Projekt intensiv widmen, die Detektion der Materialien. Wir haben deshalb auf unserem Hof auch unter anderem ein 83 Meter langes Rotorblatt zerlegt. Erstens, um zu schauen, wie macht man das überhaupt bei der Größe vom Handling her effektiv. Und zweitens, um per Thermokamera zu klären, aus was ist das Rotorblatt? Auf Basis dieser und anderer Daten können wir eine automatisierte Erstbehandlung für das Rotorblatt konzipieren.
Woran arbeiten Sie außerdem?
Ludwig: Gemeinsam mit unserem Partner, der Hochschule Bremen, arbeiten wir in einer Testanlage an dem Ansatz, mittels einer sogenannten Slow-Batch-Pyrolyse die hochwertigen Kohlefasern aus den dickwandigen Flansch- und Gurtmaterialien zurückzugewinnen. Das ist ein Verfahren, bei dem große Stücke des Materials, nicht das geschredderte Material, in den Pyrolyse-Ofen geschoben und erhitzt werden. Dabei vergast Epoxidharz und Öl wird ausgeschieden. Das Öl kann in der chemischen Industrie genutzt werden, die beim Prozess erzeugten Synthesegase zur Energie- oder Wasserstoffgewinnung. Es bleibt die reine Faser. Diese könnte man grundsätzlich wiederwenden, aber sie hat nur noch einen kleinen Teil der ursprünglichen Festigkeit und ist damit nicht stabil genug für ein neues Rotorblatt. Was aber im Sinne der Nachhaltigkeit angedacht und bereits im Entstehen ist, ist daraus ein geschäumtes Glas, das als Isolierglas verwendet werden kann, zu machen. Ein großer europäischer Glashersteller, der bereits aus eigenen Glasabfällen Isolierglas produziert, würde uns im Folgeprojekt zur Umsetzung bei der Entwicklung der industriellen Anwendung unseres Pyrolyse-Glases unterstützen. Damit hätten wir tatsächlich bereits einen Weg der Abnahme.
Was ist Ihr nächster großer Meilenstein?
Ludwig: Die Umsetzungsphase mit der Etablierung eines Recyclingzentrums, das in verschiedene Teile gegliedert ist. Ein Teil – der Forschungsteil, in dem wir die Detektion mit der Wareneingangs- und Warenausgangskunde der Produkte etablieren, wird bei uns liegen, ein zweiter Teil, das Zerlegezentrum, bei einem unserer Partner, einem Unternehmen in Bremerhaven, und der dritte Teil, die Slow-Batch-Pyroloyse, beim Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft an der Hochschule Bremen. Alle Bereiche an einem Ort zu bündeln, möchten wir in einem übernächsten Projekt an einem Standort in Bremerhaven oder Norddeutschland realisieren. Dazu suchen wir in den nächsten drei bis fünf Jahren einen Investor für das Recyclingzentrum aus der Industrie. Ihm können wir durch unsere Forschungsergebnisse beweisen, dass die von uns konzipierten Recyclingpfade und Technologien funktionieren und der Rotorblatt-Markt da ist. Schließlich geht es da um Milliarden-Investitionen.
Das Projekt KoReNaRo wird im Rahmen des Programms "Forschung für Nachhaltige Entwicklung – FONA3" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit 150.000 Euro gefördert und ist im Oktober 2021 gestartet. Gefördert wird die Konzeptionierung einer Demonstrationsanlage. Über die Förderung der Umsetzung in einer zweiten Phase wird im Anschluss entschieden.