Stephen Perry war nicht zufällig zum Gummi gekommen, denn er war mit Thomas Hancock bekannt, der heute als „Vater der britischen Gummiindustrie“ gilt. In dessen die Vulkanisation betreffenden Prioritätsstreit mit dem US-Amerikaner Charles Goodyear mischte sich Perry mit seinem Patent nicht ein („we make no claim to the preparation of the india rubber“), war aber gleichwohl Nutznießer dieses Streits. Denn über die Kraft und Zeit raubende Kontroverse mit Goodyear versäumte Hancock, sich sonstige Rechte zu sichern.
Im Jahre 1820 hatte er sein erstes Kautschukpatent erhalten, das ihm ermöglichte, feine Kautschukfäden in Textilstoffe einzubringen und so die Vorläufer heutiger Stretchgewebe zu erzeugen. Ein Verfahren, das nebenbei bemerkt auf den mährischen Schneidermeister Johann Nepomuk Reithoffer (1781-1872) zurückgeht. Hancock gründete daraufhin in London auf den Namen seines Bruders die „James Lyne Hancock Ltd.“, die als Produktionsstätte u. a. für elastische Strumpfbänder sowie Gummizüge für Stiefel fungierte. Den dazu benötigten Rohkautschuk bezog er aus Brasilien, große Klumpen, bei deren Verarbeitung beträchtliche Mengen Verschnitt übrig blieben, der nicht mehr für Fäden hinreichender Länge taugte. Um die Kautschukreste wiederverwertbar zu machen, schredderte Hancock sie in einem kurbelbetriebenen, geschlossenen Hohlzylinder – und staunte nicht schlecht, als er nach Öffnen der Apparatur anstelle zu erwartender kleiner Schnitzel einen einheitlichen, heißen Kautschukballen vor sich hatte. Das Schreddern hatte nämlich, wie sich mit dem Wissen von heute erläutern lässt, die lange Molekülkette der Kautschukpartikel verkürzt – ein Vorgang, der sich unter starker Wärmeentwicklung vollzieht und die plastischen Eigenschaften des Kautschuks erhöht, sodass dieser sich nun, wie Hancock feststellte, viel leichter formen und weiterverarbeiten ließ. 1821 ersetzte der Brite deshalb die handbetriebene Apparatur mit einem Fassungsvermögen von kaum fünf Kilogramm durch eine größere, von Pferden angetriebene und von innen beheizte Knetmaschine, die er „Masticator“ nannte (das lateinische Wort „masticare“ bedeutet „kauen“). Deren Fassungsvermögen erhöhte Hancock nach und nach auf 90 Kilogramm und verarbeitete den mastifizierten Kautschuk in seiner Manufaktur zu den verschiedensten Produkten.
Bereits 1822 brachte er Kautschukschläuche und -röhren heraus. Die Idee, sie zu Bändern und Ringen zu zerschneiden, ließ nicht lange auf sich warten. Allerdings vermochte Hancock für sie keinen praktischen Nutzen zu erkennen, zumal die Vulkanisation noch unbekannt und der Kautschuk damit – trotz Mastikation – ein ausgesprochen unbeständiges Material blieb, das an kalten Tagen hart und spröde, an warmen sehr weich wurde. Kein Wunder also, dass Hancock darauf verzichtete, seine Gummibänder zu vermarkten, verwunderlich aber, dass er nicht vorausschauend genug war, sich für den Tag X die Rechte an ihnen zu sichern, so, wie er es – wohl aus Gründen der Geheimhaltung – auch beim Masticator unterließ.
In diese Lücke stieß anno 1845 Stephen Perry mit seiner Patentanmeldung für elastische Bänder – mit dem entscheidenden Unterschied, dass diese inzwischen aus vulkanisiertem Kautschuk bestanden. Insofern gebührt dem 1873 verstorbenen Perry tatsächlich das Verdienst, der Erfinder des Gummirings zu sein, auch wenn er die Materiallizenz pikanterweise von Hancock bekommen hatte.
Erst der vulkanisierte, das heißt mit Schwefel versetzte Kautschuk ergibt bekanntlich das elastischere und haltbarere Gummi – aus einem Thermoplast wird ein Elastomer. Dem zugrunde liegt eine chemische Vernetzungsreaktion: Die linearen Polyisopren-Ketten des Naturkautschuks werden durch den Zusatz brückenbildenden Schwefels miteinander vernetzt, gefördert durch hohe Temperatur und Druck. Um besonders dehnbar zu sein, werden Gummibänder übrigens nach wie vor meist aus natürlichem Gummi hergestellt, obwohl es längst auch künstlich erzeugtes gibt, synthetisiert z. B. aus Butadien und Natrium („Buna“).
Auch Einmachringe bestehen prinzipiell aus vulkanisiertem Naturkautschuk, damit sie zug- und reißfest sind und über viele Jahre elastisch bleiben. Das Abdichten von Glasgefäßen, die eingekochte Lebensmittel enthalten, wurde von dem Gelsenkirchener Chemiker Rudolf Rempel (1859-1893) erfunden. Sein Patent aus dem Jahre 1892 ging später auf Johann Carl Weck (1841-1914), den ersten Großkunden Rempels, über, der am 1. Januar 1900 im badischen Öflingen die Firma J. Weck & Co. gründete. 1907 wurde das Verb „einwecken“ als Synonym für „einkochen“ in den Duden aufgenommen. Heute werden in Deutschland jährlich über 100 Millionen Einmachringe gekauft.
Gummifabriken, die sie herstellen, produzieren häufig auch sogenannte Flaschenscheiben, die bei Bier und Mineralwasserflaschen den Bügelverschluss gegen den Flaschenkopf abdichten. Ein weiteres Beispiel dafür, wie seit Perrys Zeiten der Gummiring das in ihm steckende Potenzial entfaltet hat und weiteren Nutzungsmöglichkeiten zugeführt werden konnte, sei es in der Kieferorthopädie, um Zähne zu richten, sei es in der Schule, um mit Papierkügelchen um sich zu schießen.
Weltweit größter Produzent ist heute die US-amerikanische Alliance Rubber Company, gegründet 1923 von William Spencer (1891-1986) in Alliance/Ohio, der mit dem Slogan „Holding your world together“ für das Gummiband warb. 1944 kam ein zweites Werk in Hot Springs/Arkansas hinzu. 1957 ließ Spencer sich ein von ihm entwickeltes, standardisiertes Gummiband, den „Open Ring“, patentieren. Das Unternehmen stellte 2017 nach eigenen Angaben Gummiringe im Gesamtgewicht von 6,8 Millionen Kilogramm her. 1999 waren es mit 11,6 Millionen Kilo noch deutlich mehr gewesen. Größter Abnehmer ist das staatliche Postwesen, der United States Postal Service (USPS).
Immerhin 4.100 Kilo wiegt der mit zwei Metern Höhe und 6,30 Metern Umfang weltgrößte Gummiband-Ball, mit dem es Joel Waul aus Lauderhill/Florida im November 2008 ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte. Der damals 27-Jährige taufte das vom ihm gefertigte Ungetüm auf den Namen „Megaton“; es soll aus über 700.000 ineinander verschlungenen Gummibändern bestehen. Nicht nur in ökologischer Hinsicht ein Frevel, auch in ökonomischer: Stephen Perry würde sicher den Kopf darüber schütteln, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem l’art pour l’art die sinnfreie Vergeudung eines wertvollen Rohstoffs rechtfertigt.
M. Weber / G. Deussing