- Phenol (chemische Formel: C6H5OH) ist Bestandteil des Steinkohlenteers und wurde 1834 von dem deutschen Chemiker Friedrich Ferdinand Runge (1794-1867) entdeckt, der ihm den Namen „Karbolsäure“ gab. Die Bezeichnung „Phenol“ wiederum, abgeleitet vom griechischen Wort für „leuchten“, „phainomai“, rührt daher, dass beim Erhitzen von Kohle unter Luftabschluss (Verkokung) neben Teer auch Leuchtgas entsteht. Es wurde für die Straßenbeleuchtung genutzt – in Deutschland erstmals im September 1826 in Berlin, als 26 Gaslaternen Unter den Linden in Betrieb gingen. Phenol ist ein farbloser kristalliner Feststoff, der sich gut in Wasser löst. Lange bedeutungslos, fand es später als Desinfektionsmittel Verwendung, bevor es für die Kunststoffindustrie interessant wurde. Heute wird es zu über 90 Prozent durch Säurespaltung seines Derivats Cumolhydroperoxid gewonnen (Hock’sche Phenolsynthese; Näheres bei Collin 2007, 27).
- Formaldehyd (Methanal, chemische Formel: HCOH) ist ein gasförmiges Oxidationsprodukt des Methylalkohols, der anfänglich Holzgeist genannt wurde. Dieser wiederum ist ein Destillat aus Holzgas, das durch Erhitzen von Holz unter Luftabschluss entsteht. Der Begriff „Aldehyd“ bezeichnet die Dehydrierung des Alkohols, d. h. den Entzug von Wasserstoffatomen im Zuge der Oxidation. Der Namensbestandteil „Form-“ ist der Tatsache geschuldet, dass Methanal durch Oxidation in Ameisensäure überführt werden kann – und dass das lateinische Wort für die Ameise „formica“ lautet. Entdeckt wurde Formaldehyd 1855 von dem russischen Chemiker Alexander Michailowitsch Butlerow (1828-1886). Genutzt wird vorrangig die als Formalin bekannte wässrige Lösung, u. a. als Konservierungsmittel. Hergestellt wird Formaldehyd heute durch katalytische Gasphasenoxidation von Methanol (Näheres bei Collin 2007, 28).
Was aus der Vereinigung von Phenol und Formaldehyd hervorgeht, ist ein Stoff mit der chemischen Formel HOCH2C6H4OH, der zu Baekelands Zeit ein absolutes Novum darstellte: Er ist keinem der beiden Ausgangsstoffe ähnlich und lässt sich aus keiner in der Natur vorfindbaren Substanz erzeugen. „Es ist so, wie wenn man einige Haarnadeln und einen Büchsenöffner nimmt, diese Dinge in ihre Bestandteile zerlegt und dann zu einem vollständigen und funktionsfähigen Farbfernsehgerät wieder zusammensetzt.“ (Mark 1970, 81)
Wie aber vollzieht sich diese Vereinigung? Was genau passiert auf chemischer Beschreibungsebene? Anonymus 2010c, 78 erläutert: „An ein Phenolmolekül können sich bis zu drei Formaldehydmoleküle anlagern. So bilden diese beiden Stoffe eine räumlich vernetzte Struktur und damit einen festen und widerstandsfähigen Kunststoff“. Das geschieht aber nicht von allein, sondern dazu bedarf es aktivierender Impulse: „Durch sorgfältiges Erwärmen und Komprimieren des Gemisches erreichte Baekeland, daß die Formaldehydmoleküle ihre Sauerstoffatome verloren und die Phenolringe sich über ein Kohlenstoffatom miteinander verbanden. Hatte diese Reaktion einmal begonnen, so wuchs das Molekül zu einem riesigen Netz von Ringen.“ (Mark 1970, 80)
Weil bei der Reaktion von Phenol und Formaldehyd als Nebenprodukt Wasser abgespalten wird, bezeichnet man das entstandene Phenolharz als Polykondensat und vermeidet den geläufigeren Begriff „Polymer“. Die gemeinsame Vorsilbe „Poly-“ artikuliert gleichwohl die Vielzahl von Molekülen, die sich hier wie dort zu einem einzigen Makromolekül (Mark 1970: „Riesenmolekül“) zusammengeschlossen haben. Das wohl prominenteste Polykondensat ist übrigens die Kunstfaser Polyamid 6.6, besser bekannt als Nylon.
Die für das Phenolharz in chemischer Hinsicht charakteristischen Molekülnetze bedingen seine zentrale physikalische Eigenschaft, formstabil zu bleiben, auch wenn es höheren Temperaturen ausgesetzt wird. Ebendiese Eigenschaft weist Phenolharz als sogenannten Duroplasten aus, in Abgrenzung zu den Thermoplasten: „Duroplaste bestehen aus schwer zerstörbaren Molekülnetzen, Thermoplaste hingegen aus einer Vielzahl von aneinander liegenden Molekülketten. Da diese Anordnung weniger widerstandsfähig ist, können Thermoplaste geschmolzen oder gelöst und auch wiederverwertet werden.“ (Anonymus 2010c, 80) Das Phenolharz hingegen lässt sich auf bis zu 300 Grad erhitzen, ehe es verkohlt, ohne zu erweichen (Brandenburger 1938, 20).
Damit Phenol- und Formaldehydmoleküle sich vernetzen, kommen Zusatzstoffe ins Spiel, die die Polykondensation anstoßen, unterhalten und verstärken. Die Zusätze, Katalysatoren genannt, zeichnen sich dadurch aus, dass sie chemische Reaktionen auslösen respektive beeinflussen, ohne selbst an ihnen teilzuhaben, mithin unverändert und unverbraucht aus ihnen hervorgehen. Je nachdem ob saure oder alkalische (basische) Zusätze verwendet werden, entstehen höchst unterschiedliche Endprodukte: „(S)aure Katalysatoren führen zu nichtselbsthärtenden Novolaken, basische zu den selbsthärtenden Resolen.“ (Domininghaus 1969, 57) Im Katalog zur Bakelit-Jubiläumsausstellung heißt es: „Bei der Herstellung von Phenol-Formaldehyd-Harzen wird zwischen zwei Verfahren unterschieden. Die erste Möglichkeit ist die Reaktion mit einem Überschuss an Phenol und einem sauren Katalysator. Hier entsteht zunächst ein Harz mit dem Fachbegriff ‚Novolak‘. Dabei handelt es sich um lineare Molekülketten, also ein schmelzbares Harz, das sich leicht verarbeiten lässt. Zur Herausbildung der Materialeigenschaften im Sinne eines stabilen Molekülnetzes benötigt man ein Härtungsmittel. [...] Die zweite Möglichkeit ist jene, die [...] mit einem Formaldehydüberschuss und einem alkalischen Katalysator ( )arbeitet. Das entstehende Endprodukt ist unschmelzbar“ (Anonymus 2010c, 78).
Während Adolf Baeyer ausschließlich mit Säuren gearbeitet hatte (Baeyer 1872, 25-26 u. 1095-1096), erforschte Baekeland sowohl die saure als auch die alkalische Katalyse und entwickelte auf diese Weise beide Grundtypen des Phenolharzes:
- Bei saurer Katalyse entsteht ein schmelzbares, dem Schellack ähnliches Harz, dem Baekeland deshalb den Namen „Novolak“ (steht für „neuer Schellack“) gab (Brandenburger 1938, 24 und Collin 2007, 11). Novolak härtet nicht von allein aus, sondern erst unter Zusatz von Aminen; heute wird üblicherweise „der ‚Formaldehyd-Spender‘ Hexamethylentetramin (Urotropin)“ als Härtungsmittel eingesetzt (Collin 2007, 11; siehe auch Schäfke 1987, 14). Aus Novolak wurden zunächst Pressmasse-Formartikel hergestellt, heute kommt der Werkstoff u. a. in der Mikroelektronik und Mikromechanik zum Einsatz (Anonymus 2010c, 78).
- Bei alkalischer Katalyse, z. B. mittels Natronlauge oder Ammoniaklösung, durchläuft das Phenolharz im Zuge der Polykondensationsreaktion eine Art Stufenwachstum – ein Prozess, den Baekeland selbst in drei Zustandsformen gegliedert hat: Resol (A-Zustand), Resitol (B-Zustand) und Resit (C-Zustand).
Resol bildet sich „als ölige Schicht [...], die [...] beim Erkalten zu einer spröden Masse erstarrt“ (Raubach 1960, 42); diese ist schmelzbar und löslich. Unter Wärmeeinwirkung und Abscheiden von Wasser wird es zu Resitol, einer gummiartigen Masse (ebd., 42), die nicht mehr schmelzbar, aber quell- und formbar ist. Unter Hitze und Druck sowie durch weitere Wasserabscheidung wird Resitol schließlich zu Resit, das weder löslich noch schmelzbar oder verformbar ist. Resit ist entsprechend als Endstufe (Polykondensat) des Phenolharzes anzusehen, Resol und Resitol gelten als Vorstufen (Oligokondensate). Je nach Zweckbestimmung lassen sich aber selbstverständlich alle drei Zustandsformen industriell verwerten: „Durch Abbruch der Reaktion bei Erreichen der gewünschten Konsistenz ergeben sich für den Hersteller des Harzes vielfältige Möglichkeiten, speziell für die Weitergabe des Materials an die Hersteller der Endprodukte.“ (Anonymus 2010c, 78-79)
Die ersten Versuche, die chemische Reaktion von Phenol und Formaldehyd zu studieren und zu steuern, hatte Baekeland im Jahr 1905 in seinem Privatlabor in Yonkers begonnen. Bis dahin „war es [...] niemandem gelungen, einwandfreie Formteile zu erzeugen, da die Reaktion von Phenol und Formaldehyd und vor allem die Härtung der enthaltenen Harze unter den angewandten Bedingungen unkontrollierbar verlief und wegen der Abspaltung des Kondensationswassers zu blasigen oder porösen Produkten führte. Baekeland stand daher vor der Aufgabe, ein Verfahren zum Herstellen von homogenen, harten, unschmelzbaren und unlöslichen Reaktionsprodukten aus Phenol und Formaldehyd ohne Poren oder sichtbare Hohlräume (Löcher) zu entwickeln. Die Lösung fand Baekeland darin, im Unterschied zu allen Vorgängern unter gleichzeitigem Einwirken von Hitze und Druck bei höheren Temperaturen zu arbeiten und dadurch die Reaktion zu beschleunigen, das Kondensationswasser weitgehend auszutreiben und das Endprodukt ‚ohne Aufblähen und Poröswerden‘ auszuhärten. Er konstruierte dafür einen von ihm Old Faithful genannten Reaktor, in dem er am 20. Juni 1907 erstmals 180 Liter einer bernsteinfarbenen viskosen Phenolharz-Masse erzeugte.“ (Braun 2010, 24; vgl. Collin 2003, 150, Raubach 1960, 37-39, und Brandenburger 1938, 24)
In der simultanen Einwirkung von Hitze und Druck bestand somit letztlich „(d)as Wesentliche des Baekeland-Verfahren“ (Brandenburger 1938, 20) – die gelungene Umwandlung von Resitol in qualitativ einwandfreies Resit war der entscheidende Durchbruch zu einem produktionstauglichen, industriell verwertbaren Werkstoff:
„Im Gegensatz zu früheren Experimenten mit Phenol-Formaldehyd-Mischungen ließ sich die chemische Reaktion [...] relativ einfach kontrollieren und erfolgreich wiederholen. Auch war die entstandene Harzmasse endlich blasenfrei.“ (Fiell und Fiell 2009, 13) Baekeland „verstand es, die Harzbildung [...] so zu leiten, daß man die Entwicklung zu dem unlöslichen und unschmelzbaren Körper verschiedentlich unterbrechen konnte; nämlich an den Stellen, an denen sie sich für eine Vermischung mit anderen Stoffen oder für eine Verformung eignet.“ (Brandenburger 1938, 19) Baekelands Verdienst sei von daher weniger die Entdeckung des Phenolharzes gewesen – sie habe praktisch in der Luft gelegen –, als vielmehr die Beherrschbarkeit des Reaktionsprozesses, wodurch eine industrielle Produktion erst möglich und lohnend geworden sei, schreibt Schäfke 1987, 12.
„Baekeland prüft seine Härtungsprodukte auf Isolierfähigkeit. Das Ergebnis ist ausgezeichnet. Das aber bedeutet, daß das so dringend benötigte Harz für die Isolierpreßmassen endlich gefunden ist.“ (Raubach 1960, 39) Daraufhin meldete Baekeland im Jahre 1907 insgesamt sieben US-Patente an. Als wichtigstes gilt das am 13. Juli 1907, heute vor 111 Jahren, eingereichte „Heat and Pressure“-Patent (US 942,699). Das neuartige Phenolharz bekam den Namen „Bakelite“, zu Deutsch: Bakelit, der auch als Warenzeichen eingetragen wurde.