Die höheren Ester der Methacrylsäure nahm Röhm & Haas zunächst ebenfalls für die Herstellung von Sicherheitsglas in den Blick. Die Vision, die dahintersteckte, war aber letztlich nicht ein optimiertes Verbundglas, sondern ein eigenständiger Glasersatz, mit anderen Worten die Erzeugung von Acrylglas (organischem Glas) als Alternative zum Silikatglas (anorganischem Glas). „Der polymere Methacrylsäuremethylester eröffnete [...] die Möglichkeit, in die eigentlichen Anwendungsgebiete von Glas einzudringen.“ (Trommsdorff 1976, 232) Das belegt das auf Röhm und Bauer als Erfinder lautende DRP 724229 „Glasersatz“ vom 22. März 1932 an:
„Es wurde gefunden, daß sich statt der Polymerisationsprodukte der Acrylsäure und bzw. oder ihrer funktionellen Derivate die Mischpolymerisate aus Acrylsäureestern und Methacrylsäureestern ganz besonders gut als Glasersatz eignen. [...] Der erfindungsgemäße Glasersatz zeigt im Gegensatz zu dem bekannten Glasersatz, wie Celluloidscheiben, eine außerordentliche Widerstandsfähigkeit gegen Licht, Feuchtigkeit, Benzin, Öl und andere Stoffe, eine gute Durchlässigkeit für ultraviolettes Licht sowie hervorragende mechanische Eigenschaften, z. B. Elastizität und Zähigkeit auch bei tiefen Temperaturen. Ferner besitzen die Mischpolymerisate eine wesentlich größere Härte als die den Gegenstand des Hauptpatentes bildenden [...] Polymerisationsprodukte der Acrylsäure und bzw. oder ihrer funktionellen Derivate“.
Bei dem hier angesprochenen Hauptpatent handelte es sich um DRP 656421 vom 7. Februar 1928 ab, das „Geformte Kunststoffe aus Polyacrylsäure, ihren Verbindungen oder Mischungen derselben“ überschrieben war und bei dem sich Röhm und Bauer ebenfalls die Erfinderschaft teilten. Ein Zusatzpatent (DRP 680679, ebenfalls vom 7. Februar 1928 ab) war bereits „Glasersatz“ überschrieben, erwähnte aber noch nicht den polymeren Methacrylsäuremethylester.
Jetzt, anno 1932, kam nunmehr alles darauf an, die Laborarbeit darauf zu konzentrieren, ein Polymerisationsverfahren zu entwickeln, das geeignet war, qualitativ hochwertiges Acrylglas in, wie es damals hieß, technischem Maßstab herzustellen und zu vermarkten. Otto Röhm bildete nach eigenen Vorarbeiten im Februar „1933 eine Arbeitsgruppe mit Dr. Weisert, Ingenieur Wagner und einem weiteren Mitarbeiter [...] unter dem Gesichtspunkt des Glasersatzes [...]. Schon die Acrylester [...] hatten in ihm diesen Wunsch wachgerufen.“ (Trommsdorff 1976, 232; vgl. Ackermann 1967, 114)
Es „ist bereits bekannt, zwecks Herstellung von Sicherheitsglas (Verbundglas) zwischen Glasscheiben dehnbar elastische Polymerisatfilme, deren Dicke etwa 0,2 bis 0,5 mm beträgt, unter Bedingungen zu erzeugen, daß die Glasscheiben zu praktisch untrennbaren Gebilden verklebt werden. Demgegenüber werden nach vorliegender Erfindung Polymerisatgebilde erzeugt, die nach ihrer Bildung aus der Flachform entfernt und für sich verwendet oder verarbeitet werden“, heißt es in der Patentschrift zum DRP 659469 vom 10. Oktober 1933 ab, erteilt für das „Verfahren zur Herstellung blasenfreier Formgebilde, wie Scheiben oder Platten, durch Polymerisation von Vinylverbindungen oder Acrylverbindungen“, insbesondere von Estern der Methacrylsäure und der Acrylsäure oder von Mischungen derartiger Verbindungen. Als Erfinder ist diesmal nicht Bauer, sondern Firmenchef Otto Röhm allein ausgewiesen. Die Polymerisation selbst wurde demnach „in zweckmäßig stehend angeordneten, beiderseits beheizbaren und kühlbaren, auseinandernehmbaren Flachkammern bei erhöhten Temperaturen [...] durchgeführt und die entstandenen Flachgebilde nach Beendigung des Polymerisationsvorgangs aus der Form entnommen“. Man erhalte so „völlig einwandfreie, insbesondere blasenfreie und schmutzfreie Gebilde“, „Scheiben oder Platten von wasserklarer Reinheit [...], welche mit so glatten Oberflächen aus der Form kommen, daß sie ohne weiteres als Glasersatz Verwendung finden können, und welche gegenüber gewöhnlichem Glas noch besondere Vorteile, z. B. mit Bezug auf Bruchfestigkeit, geringes Gewicht, leichte Verformbarkeit usw., bieten.“