Wurde Stabilität und Leistungsvermögen von Werkstoffen vor geraumer Zeit mit hohem Gewicht und großer Härte gleichgesetzt, geht der Trend seit Jahrzehnten in eine ganz andere Richtung. Moderne Werkstoffe sind leicht im Gewicht und zugleich extrem leistungsfähig. Die Forderung nach Höchstwerten in puncto Belastbarkeit, Flexibilität und Kosteneffizienz führte zur Entwicklung von Materialien, die die Vorzüge unterschiedlicher Werkstoffwelten in sich vereinen, wie es insbesondere beim Werkstoffverbund von synthetischen- bzw. Naturfasern und Kunststoffen der Fall ist. Und die Materialforschung und -entwicklung erweist sich als regelrechtes Perpetuum mobile und wartet immer wieder mit neuen Materialien auf. Heute machen nanostrukturierte Aerogele von sich reden – und stimulieren gleichzeitig die Polymerentwicklung.
Es ist anzunehmen, der US-Amerikaner Samuel Stephens Kistler (1900-1975) [1] ist nur wenigen Menschen ein Begriff, vornehmlich Wissenschaftlern, die sich in der Werkstoffentwicklung tummeln. Zudem war Kistlers Bekanntheitsgrad vermutlich zu Lebzeiten deutlich niedriger, als er es heute ist, viele Jahre nach seinem Tod. Ebenso ist zu vermuten, dass Kistler postum mehr Anerkennung erfährt, als er es jemals erträumt oder auch nur ansatzweise für möglich gehalten hätte. Ein Platz am Firmament der Materialforschung jedenfalls ist Kistler für seine Erfindung des Aerogels bereits heute sicher.
Revolution in der Materialforschung
Aerogele sind faszinierende, milchig-transparente Festkörper, die den Betrachter zu täuschen in der Lage sind: Obwohl voluminös, fühlt sich das Material körper- und gewichtlos an. Der Eindruck, es handle sich um gefrorener Rauch, wird durch seinen bläulichen Schimmer von einem sehr warm Empfinden in der Hand konterkariert. Aufgebaut sind Aerogele aus einem weitverzweigten, dreidimensional Netzwerk mit Kieselsäure bzw. Siliziumoxid (SiO2) als Grundbaustein; andere Materialien wie Graphit oder Kunststoff sind ebenfalls möglich. Der Anteil an festen Bestandteilen in Aerogelen ist indes eher gering, er liegt vielleicht gerade einmal bei ein bis fünf Prozent. Der überwiegende Teil besteht, salopp gesagt, aus Luft und Löchern – daher Aero-gel. Herkömmliche Gele enthalten bekanntermaßen Flüssigkeit, so auch die Aerogele zumindest zu Anfang. Im Laufe eines aufwendigen Prozesses wird die Feuchtigkeit im Gel entfernt und durch Luft ersetzt. Zurück bleibt eine netz- oder wabenartige Struktur, quasi das Gelgerippe, das in seiner Ausdehnung nahezu exakt dem Volumen des ursprünglichen Gels entspricht. Aerogele gelten nachweislich als leichteste Feststoffe der Welt. Laut Guinness Buch der Rekorde wurde 2003 in den USA ein Aerogele mit einer Dichte von einem Milligramm pro Kubikzentimeter (mg/cm3) hergestellt. Die Dichte von Luft beträgt 1,2 mg/m3 [3].
Aerogele gleichen einem Schwamm, der über zahllose nanofeine Poren verfügt; an dieser Struktur bricht sich nicht allein das Licht und beschert dem Material einen bläulichen Schimmer, sondern erklärt auch seine große innere Oberfläche: Die Fläche eines Gramms Aerogels entspricht der eines Fußballfeldes [8]. Das Material ist ideal dafür geeignet, um Öl aufzusaugen oder Kometenstaub einzufangen [9].
Aerogele wiegen so gut wie nichts und sind, obgleich das Fliegengewicht unter den Hightech-Materialien, regelrechte Schwergewichte. Um sich eine bildhafte Vorstellung vom Aufbau eines Aerogels machen zu können: Die räumlich Verzweigungen im Aerogel sind um das 1000fache dünner als Spinnenfäden, und die Poren sind so winzig, dass sie die Luftmolekle einschließen und eine Berührung untereinander verhindert – was Aerogele für den Einsatz als Dämmmaterial prädestiniert. Schließlich ist Wärme nichts weiter als Bewegung und Reibung: Der Wärmetransport erfolgt, indem sich die in der Luft befindlichen Moleküle anstoßen und aneinander reiben. In Aerogelen sind die Poren so kleine, das dieser Vorgang unterbunden wird. Aufgrund des hohen Vernetzungsgrads der Gel-bildenden Partikel erweisen sich Aerogele zwar als spröde; sie sind leicht und dennoch stabil und überaus tragfähig.
Um die Geschichte des rekordträchtigen Materials von Anfang an zu erzählen, blicken wir rund 80 Jahre zurück; der Zeitpunkt ist nicht exakt definiert. Der Legende nach beginnt sie mit einer Wette zwischen den Wissenschaftler Samuel Stephens Kistler und Charles Learned, beide arbeiten seinerzeit an der Stanford University in Kalifornien, USA. Die Frage stand im Raum, ob es möglich sei, die Flüssigkeit aus einem Gel, zu entfernen, ohne dass das Gel an Volumen verliert und schrumpft.
Ein Gel wird in der Regel als ein feindisperses System aus mindestens einer festen und einer flüssigen Phase definiert. Die feste Phase bildet durch Verknüpfung der einsetzten Partikel ein schwammartiges, dreidimensionales Netz, dessen Poren durch eine Flüssigkeit (Lyogel) oder ein Gas (Xerogel) ausgefüllt sind; ist das Netzwerk hochporös und befindet sich Luft in den Zwischenräumen, wird das Gel als Aerogel bezeichnet. [4]
Um sein Ziel zu erreichen, galt es für Kistler eine Methode zu finden, Gele zu trocknen, ohne das Volumen des resultierenden Gebildes zu reduzieren. Kein einfaches Unterfangen, allerdings, so viel vorneweg: „Unsere Bemühungen waren von Erfolg gekrönt“, schreibt Kistler 1931 im angesehen Wissenschaftsmagazin Nature [1] über das Ergebnis seiner Experimente; 1932 setzte er mit einer umfangreicheren Arbeit im Journal of Physical Chemistry [2] nach.
„Kistler nutzte Natriumsilicat, das er mit Wasser vermischte und so eine Lösung herstellte (Wasserglas). Nach der Zugabe der als Fällungsreagenz wirkenden Salzsäure fielen mit der Zeit Kieselsäureteilchen aus (Fällungsreaktion), welche sich bedingt durch die Brownsche Molekularbewegung unkoordiniert in der Lösung verteilten und dabei auch zusammenstießen. […] Durch die allmähliche Haftung aggregierten diese Teilchen mit der Zeit und binnen ungefähr eines Tages resultierte ein Gel mit netzwerkartiger Struktur. Aus diesem wurde(n) das Natriumchlorid und die überschüssige Salzsäure mit Wasser ausgespült (Aquagel) und es folgte eine Versetzung mit Alkohol (Alkogel). Dieser Schritt ist notwendig, da das Wasser ansonsten im weiteren Prozessverlauf die Gelstruktur wieder zerstören würde. Verdunstet der Alkohol langsam, so bilden sich aufgrund der wirkenden Oberflächenkräfte Menisken aus, welche sich in das Gel ‚eingraben‘ und in diesem eine gangartige Struktur bedingen. Damit verbunden wäre eine Schrumpfung des Gels und als Ergebnis ein poröses Gefüge mit nur ungefähr 50 (Prozent) Porenanteil, was es jedoch gerade zu vermeiden galt. Kistler nutzte zur Trocknung daher einen Autoklaven, (einen gasdicht verschließbaren Druckbehälter, dazu zählen auch Schnellkochtöpfe, Anm. d. Red.) und erhöhte Temperatur und Druck über den kritischen Punkt, sodass ein überkritisches Fluid entstand. Diese Vorgehensweise wird als überkritische Trocknung bezeichnet. Die Phasengrenze zwischen Gas und Flüssigkeit war damit aufgehoben; Oberflächenkräfte, welche im anderen Fall zur Bildung von Menisken geführt hätten, existierten nicht mehr. Das überkritische Fluid wurde dann aus dem Autoklaven abgeblasen, wodurch das Produkt trocknete und schließlich zum Aerogel geworden war. Dabei hatte das Aerogel die Größe und Form des ursprünglichen Gels behalten, wobei die von Kistler hergestellten Silikat-Aerogele eine Dichte von rund 30 bis 300 kg/m3 und eine Porosität im Bereich zwischen 86 und 98 (Prozent) aufwiesen. Die Herstellungsmethode nach Kistler hatte jedoch den Nachteil, lang und aufwendig zu sein, was besonders den Lös(e)mittelaustausch vor dem Verdampfen des Alkohols betraf.“ [5]
Der 1968 von Stanislas Teichner an der Universität Lyon entwickelte und 1986 verbesserte Sol-Gel-Prozess galt lange als Standardverfahren zur Herstellung von Aerogelen. Hierbei wird giftiges Tetramethylorthosilikat (TMOS) mit einer definierten Menge Wasser nach der Zugabe eines Katalysators langsam zu Orthokieselsäure und Methanol hydrolysiert. Aus der Kieselsäure spaltet sich Wasser ab und es entstehen Tetraeder aus Siliziumoxid (SiO2), die sich zu einem Gel vernetzen. Die Trocknung des so entstandenen Alkogels erfolgt in Kistler-Manier im Schnellkochtopf, wobei das Methanol kritische Werte von 239,4 °C und 80,9 bar aufweist. Die Eigenschaften des sich so bildenden Aerogels, seine Struktur und Dichte, lassen sich durch die Wahl des Katalysators, des pH-Wertes oder des Mengenverhältnisses der eingesetzten Substanzen, insbesondere des Methanols, steuern. [5,6]
Inzwischen wurden einige weitere Wege zur Herstellung von Aerogelen entwickelt, die sich durch unterschiedliche Vor- oder Nachteile auszeichnen. Insbesondere war es das Ziel, die Aerogelherstellung kostengünstiger zu gestalten, was für den kommerziellen Erfolg eines Produkts bekanntermaßen von außerordentlicher Bedeutung ist. Zum Vergleich: Ein Kubikmeter Aerogel kostete laut eines Berichts in der Zeitung „Die Welt“ bereits 2010 rund 1600 Euro, die gleiche Menge Dämmwolle hingegen ließ sich für 50 Euro erwerben [7]. Ein Verfahren findet in Ludwigshafen bei BASF Anwendung, wo insbesondere Aerogelkügelchen (Granulat) mit rund einem bis sechs Millimetern Durchmesser und einer Dichte von ungefähr 200 kg/m³ hergestellt werden. Man bringt Schwefelsäure und Natriumsilikat zur Reaktion, indem man sie mit einer Mischdüse auf einen Kolben aufsprüht. Dabei kommt es zur Bildung von Alkalisalzen, die durch eine Nachbereitung ausgewaschen werden müssen. Der Vorteil dieses Prozesses liegt () in den vergleichsweise geringeren Kosten, der Nachteil ist den schlechteren, insbesondere optischen Eigenschaften des Granulats zu sehen.“ [5]
Die Funktionstüchtigkeit des Aerogels indes leidet darunter nicht. Aerogel-Granulat wird heute in vielfältiger Weise eingesetzt, vor allem als Dämmstoff der Superlative. „Mit einem sensationellen Bemessungswert der Wärmeleitfähigkeit von gerade 0,017 W/(m*K) wird es endlich möglich, auch mit extrem dünnen Lagen die erforderlichen oder gewünschten Dämmwerte zu erreichen“, frohlockt die Firma BASF Wall Systems in Ihrem MultiThermAERO-Flyer. Räumliche und optische Beeinträchtigungen ließen sich so problemlos auf ein absolutes Minimum reduzieren. Aerogele zur Dämmung lassen sich in unterschiedlichste Weise verarbeiten: als Dämmplatte oder flexibles Fließ oder als Füllung in Textilen, die den Träger auch bei tiefsten Temperaturen ein wohlig-warmes Körpergefühl verleihen. Aerogele halten nicht nur die Kälte draußen, sondern erfüllen ihrer baulichen Struktur wegen auch im Brandschutz wahre Wunder: Während auf der einen Seite eines mit Aerogel gefüllten Fließ Temperaturen von hunderten Grad herrschen, lässt sich auf der anderen Seite davon nichts spüren. Und wenn man in der Regel über den Schallschutz von einem feinen Nebeneffekt herkömmlicher Dämmmaterialien spricht: Bei Aerogelen ist das Programm: „Dank der feinporigen Nanostruktur und ihrer riesigen Oberfläche fungieren Aerogele auch als hocheffektive Schalldämpfer und können so den Geräuschpegel deutlich reduzieren“, beschreibt die BASF Wall Systems GmbH & Co. KG. [8]
Wettbewerb belebt das Geschäft
Bei allen Vorzügen, die Aerogele in puncto Dämmung bieten und damit in Konkurrenz treten zu klassischen Material, die dieses Marktsegment noch beherrschen, sie lassen sich bislang nicht schäumen. Folglich geraten sie dort ins Hintertreffen, werden andere Produkte präferiert, wo Hohl- und Zwischenräume Kältebrücken frei ausgefüllt werden müssen, wie es bei der Isolierung von Kühlschränken und Gefriertruhen der Fall ist, die im Haushalt rund ein Fünftel des Stroms verbrauchen. Die Nase vorn haben hier Polyurethan-Hartschäume, mit denen sich in den zurückliegenden Jahren die Dämmwirkung erheblich steigern und der Energieverbrauch signifikant reduzieren ließ.
Ungeachtet dieser Markt behauptenden Position geht die Entwicklung des PU-Materials unablässig weiter. Möglicherweise inspiriert von der Leistungsfähigkeit der Aerogele, deren Herstellung Samuel Stephens Kistler gelang, bevor Otto Bayer Jahr Polyurethane (PU) erfand. Im Gegensatz zu Aerogelen ließen sich PU jedoch schon frühzeitig auf wirtschaftlich interessante Weise produzieren. Otto Bayer und Kollegen hatten allein bis 1944 bereits rund 260 PU-Patente angemeldet [10].
Bayer Material Science jedenfalls hat im vergangenen Jahr ein PU-Hartschaum vorgestellt, dessen Porengröße mit 70 bis 100 Mikrometer immer noch kaum an die Porengröße von Aerogelen heranreicht, die aber aber kaum dicker sind als ein menschliches Haar und deutlich kleiner dimensioniert sind als die Poren konventioneller Polyurethanschäume. Damit lasse sich die Wärmeleitfähigkeit im Vergleich zu Standardmaterialien um bis zu zehn Prozent verringern, berichtet Bayer Material Science.
Neben Kühlschränken, Gefriertruhen und Wasserboilern hat das Unternehmen weitere Anwendungen für seinen neuen PU-Hartschaum ausgekundschaftet. So kommt das Material dem Luftfahrt-Projekt Solar Impulse zum Einsatz – einem für 2015 geplanten Flug um die Erde allein mithilfe von Sonnenenergie. „Bei dem zweiten, weiter verbesserten Modell des Flugzeugs wird der Dämmstoff stellenweise in der Cockpit-Verkleidung genutzt, für deren Gestaltung Bayer Material Science verantwortlich ist“, berichtet das Unternehmen [11]. PU ist aufgrund seiner herausragenden Eigenschaften bereits seit langem ein Aero-Werkstoff, sprich in vielfältiger Weise in der Luftfahrt im Einsatz.
Wenn Sie mehr über den Werkstoff Polyurethan (PUR) erfahren wollen: PU wird im Rahmen eines unserer nächsten Themen des Monats behandelt.
Quellen
[1] S. S. Kistler: Coherent expanded aerogels and jellies. Nature 127 (1931) 741
[2] S. S. Kistler: Coherent expanded aerogels. Journal of Physical Chemistry 36 (1932) 52-64.
[3] www.guinnessworldrecords.com/world-records/1/least-dense-solid
[4] de.wikipedia.org/wiki/Gel
[5] www.chemie.de/lexikon/Aerogel.html
[6] Jochen Fricke: Aerogele. Physik in unserer Zeit 17(4) (1986) 101-106
[7] Die Welt, Deutsche Forscher erfinden den Schaumstoff neu, vom 22.10.2010
[8] MultiTherm AERO, BASF Wall Systems GmbH & Co. KG, agitec.ch/fileadmin/images/img/Prospekte/Multitherm_Prospekt_DE.pdf
[9] scinexx Das Wissensmagazin, Stardust bringt Kometenstaub zurück, 13.01.2006, www.scinexx.de/wissen-aktuell-4124-2006-01-13.html
[10] Stefan Albus. Polyurethane: vom „Emmentaler-Käse-Ersatz“ zum „Allround-Spezialisten“, in Die Babywindel und 34 andere Chemiegeschichten, Wiley-VCH Verlag, 2000, S. 49-59
[11] Pressemeldung der Bayer Material Science. Winzige Poren halten die Wärme draußen. 11/2012