Moderne Autos bestehen zu einem Großteil aus Kunststoff. Mehr als 2000 Bauteile sind polymerbasiert. Das war zu Beginn des Automobilzeitalters noch ganz anders. Die ersten Autos waren eisenschwer, nur hier und da fand Holz Anwendung. Ein polymer Werkstoff indes war von Anfang an dabei: Kautschuk. Die Frage scheint berechtigt: Gäbe es die Autoindustrie, so wie wir sie kennen, hätten nicht kluge Tüftler und Polymerexperten, allen voran John Boyd Dunlop (1841-1921), die entscheidenden Schritte bei der Entwicklung des Luftreifens gemacht? Der 41. Oldtimer Grand Prix , vom Automobilclub von Deutschland (AvD) vom 9. bis 11. August 2013 am Nürburgring ausgetragen, bietet eine gute Gelegenheit, sich einiger historischen Momente des Automobilzeitalters vor Augen zu führen.
Nur der Vollständigkeit halber: Bereits im Jahre 1845 erfand der Schotte Robert William Thomson den luftgefüllten Reifen. Dieser bestand aus einem oder mehreren Segeltuchschläuchen, die mit Kautschuk imprägniert waren, und einer Lederdecke. Mit seiner Erfindung war allerdings seiner Zeit weit voraus; damals gab es noch nicht einmal Fahrräder, die Luftreifen benötigt hätten. Kleiner Trost: Einige Fahrzeuge liefen später auch auf Thomson-Pneus, die zum Teil mehrere Luftkammern (Schläuche) enthielten, gewissermaßen die Vorläufer etlicher Konstruktionen pannensicherer Reifen.
Sieben Jahre nach John Boyd Dunlops Patent des luftgefüllten Reifens, im Jahre 1895, wurden die Pneumatik-Reifen in einem Langstreckentest auf die Probe gestellt. Die Gebrüder André und Edouard Michelin hatten sich für die Luftikusse entschieden und verwendeten sie während des Autorennens Paris-Bordeaux-Paris, an dem sie mit einem Peugeot-Wagen namens ,,Eclair“ (Blitz) teilnahmen. Das brachte ihnen jedoch keinen entscheidenden Vorteil, denn ins Ziel kamen sie nicht als Erste, sondern nur mit Ach und Krach: Sie kämpften mit 50 Pannen und 22 zum Teil umständlichen Reifenwechseln. Dafür hatte der Sieger Emil Layassor nur ein schadenfrohes Lächeln übrig: Er fuhr Vollgummireifen.
Was für die Michelin-Brüder ein schwerer persönlicher Schlag bedeutete, tat der Reifenentwicklung keinen Abbruch, im Gegenteil: Von da an ging es richtig los. Bereits drei Jahre später gab es die ersten luftbereiften Automobile direkt ab Werk. 1899 hatte auch Continental die ersten Autoreifen im Programm. Preis: 269 Mark, Lebensdauer: 500 Kilometer. Der Belgier Camille Jenatzy durchbrach im selben Jahr mit einem Elektrofahrzeug und speziellen Luftreifen von Michelin die damals unglaubliche Geschwindigkeitsgrenze von 100 Stundenkilometern. Normalerweise bekam man bereits bei 20 Kilometer pro Stunde einen Geschwindigkeitsrausch, denn die Höchstgeschwindigkeit lag zur damaligen Zeit üblicherweise bei 15 km/h.
Das Auge rollt mit
Um etwa 1904 änderte sich das Design der Reifen: Sie wurden markanter im Profil, dafür farbloser im Ansehen. Querrippenprofile markieren ihren Weg in die Zukunft. Durch die Zugabe von Ruß - bis heute üblich - erhöhte sich die Gummifestigkeit, was letztlich für eine längere Lebensdauer sorgte. Einstmals eher gelblich-weiß, rollten die Pneus nun schwarz durch die Gegend.
Es gibt aber noch weitere wichtige Stationen auf dem Weg der Reifen-Reife: So bekam er im Jahre 1915 sozusagen Flügel: Pirelli baute die ersten luftgefüllten Reifen für Flugzeuge. Zwei Jahre später stellte Goodyear die ersten LKW-Luftreifen her, Bayer zum ersten Mal synthetischen Kautschuk, was einen enormen Fortschritt für die Reifenindustrie bedeutete. 1922 erfuhr der Luftreifen dann eine weitere entscheidende Veränderung: Dunlop präsentierte auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) den ersten Autoreifen mit Stahldraht im Wulst, zum besseren Sitz auf der Felge - seit 1924 Produktionsstandard.
Ein Sprung ins Jahr 1943: Ein Patent jagte das nächste. Die Firma Continental erhielt eines für den schlauchlosen Reifen -heute eine Selbstverständlichkeit-, drei Jahre später Michelin für den Stahlgürtelreifen. 1950 brachten zwei Buchstaben die Reifenwelt in Wallung: M+S. Die ersten Matsch + Schneereifen waren zwar grobstollig und laut, aber unter winterlichen Fahrbahnbedingungen besser als andere Reifen. Erst 30 Jahre später präsentierte Goodyear in Deutschland den ersten echten Ganzjahresreifen. Für die Leute, die grundsätzlich keine Winterreifen kauften, war dieser Reifen eine durchaus vernünftige und für alle Wetterlagen geeignete Lösung. Wie seine Nachfolger hatte er an der Reifenflanke eine M+S-Kennung.
Autoreifen aus Löwenzahn und Soja
Was von da ab im Einzelnen geschah, lässt sich in einem unseren Themen des Monats „Reifen, Reifen, Reifen – Wie alles begann“ in hinreichender Tiefe nachlesen. Nur eine Ergänzung sei, aus Gründen der Vervollständigung, an dieser Stelle gestattet. Sie bezieht sich auf eine Informationen, die ihren Ursprung in Jahr 2010 nahm und die jüngst um eine weitere, sprich: zeitliche Facette angereichert wurde.
Seit einigen Jahren legt sich die Firma Goodyear bei der Entwicklung eines Reifen aus erneuerbarer Biomasse mächtig ins Zeug. Aus bekannten Gründen: Erdöl, bislang Hauptrohstoff bei der Herstellung von synthetischem Kautschuk, ist eine leider nur begrenzt vorhandene Ressource, zu kostbar, um sie zu verheizen oder auf den Straßen dieser Welt abzureiben.
Das hat auch die Reifenindustrie erkannt, die, wie das Nachrichtenmagazin Spiegel in seiner Onlineausgabe berichtet, in der post-petrochemischen Ära angekommen ist. Für sie gilt die Devise: Zurück zu den Wurzeln, sprich: die Reifen der Zukunft entstammen wieder dem Schoß von Mutter Natur.
So ist der Plan, das hehre Ziel. Allerdings spielt Naturkautschuk dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die Pflanzen, denen die Wissenschaftler zwecks Herstellung von Autoreifen ernten wollen, sind deutlich kleinwüchsiger. Es handelt sich dabei um Blümchenextrakte aus Löwenzahn oder Sojaöl.
Während die Firma Continental sich noch damit zurückhält, konkrete Angaben zu machen, wann sie mit einem Autoreifen der Marke „ökologisch wertvoll“ aufzuwarten gedenkt, macht Bridgestone Nägeln mit Köpfen und kündigt für das Jahr 2020 die Markteinführung von Naturreifen an, die in ihrem Eigenschaftsprofil, sprich : Rollwiderstand, Bremseigenschaften und Straßenhaftung, vergleichbar seien, wie herkömmliche Pneus.
Der amerikanische Konzern Goodyear gibt mehr Gas: Zusammen mit der Firma DuPont Industrial Bioscienses arbeitet der US-Reifenhersteller an der Entwicklung von biobasiertem Isopren, aus dem sich ebenfalls Kautschuk – frei von Erdöl – herstellen lässt. Derzeit laufende Tests haben offenkundig die Erwartungen des Unternehmens beflügelt, dass mit einer Einführung der neuen Öko-Runds im Jahr 2015 rechnet. K-online wünscht allen Aktiven viel Erfolg für das Vorhaben und viel Vergnügen beim 41. Oldtimer Grand Prix am Nürburgring. GDeußing