Produkte für den Haus- und Wohnungsbau können verantwortlich sein für die Belastung von Innenräumen durch leicht- und schwerflüchtige organische Verbindungen, sogenannte volatile organic compounds (VOC/SVOC). Um die Gesundheit der Bewohner und Beschäftigten beziehungsweise Gebäudenutzer zu schützen, ist gemäß geltender Vorschriften das Emissionsverhalten im Innenraum eingesetzter Werkstoffe zu untersuchen. Für die Vorgehensweise grundlegend sind hierzulande die Vorgaben des Ausschusses zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB).
PVC, Linoleum, Teppich, Laminat, Parkett, Kork – die Wahl der richtigen Auslegeware, des passenden Bodens für den Wohn- oder Arbeitsbereich, kann ob der großen Bandbreite der am Markt verfügbaren Produkte aus den unterschiedlichsten Materialien durchaus Kopfzerbrechen bereiten. Ähnlich verhält es sich im ungünstigen Fall, ist die Entscheidung längst getroffen und etwa der Bodenbelag schon fest mit dem Untergrund verklebt. Dann nämlich, wenn sich aus dem Bodenbelag beziehungsweise Bodensystem leicht- und/oder schwerflüchtige organische Verbindungen, sogenannte Volatile Organic Compounds / Semi-volatile Organic Compounds (VOC/SVOC), verdünnisieren und die Innenraumluft verschmutzen. Zu den ingfrage kommenden VOC/SVOC werden unterschiedliche Verbindungen gezählt, etwa klassische Lösungsmittel wie Butanol, Toluol oder Hexanal oder auch Chemikalien oder Weichmacher, die zur Herstellung von u. a. Kunststoffen verwendet werden wie Styrol, Bis(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP) oder Dibutylphthalat (DBP).
Hartgesottene mögen an dem Ausstoß keinen Anstoß nehmen, anderen Bewohnern oder Raumnutzern hingegen kann diese Art der Luftbelastung das Leben zur Hölle machen: Treten nach Bezug eines neuen, renovierten oder sanierten Gebäudes mit einem Mal Symptome wie Kopfschmerzen, Schleimhautreizungen, Müdigkeit, allergische Reaktionen, Abwehrschwäche, häufige Infektionskrankheiten, Verschlechterung von Asthma bronchiale, akute Atembeschwerden, depressive Zustände, allgemeines Unwohlsein oder verminderte Leistungsfähigkeit auf, zieht der versierte Mediziner bei seiner Diagnose auch das sogenannte Sick-Building-Syndrom als Ursache mit in Betracht, hervorgerufen unter anderem von VOC- und SVOC-Emissionen aus Bauprodukten.
Wenn Zimmerluft krank macht
Da der Mensch die meiste Zeit seines Lebens in Innenräumen verbringt, abhängig von der Jahreszeit rund 80 bis 90 Prozent des Tages, übt das Klima in der Wohnung und am Arbeitsplatz einen entscheidenden Einfluss auf sein Wohlbefinden und seine Gesundheit aus. Wesentliche Faktoren sind vor allem die herrschende Temperatur und die relative Luftfeuchte im Raum. Allerdings spielt die Qualität der Luft beziehungsweise ihre Belastung mit VOC, hierbei handelt es sich um Kohlenwasserstoffverbindung mit sechs bis 16 Kohlenstoffatomen im Molekül, und SVOC (16 - 22 Kohlenstoffatomen im Molekül) eine nicht unerhebliche Rolle.
Viele Bauprodukte kommen als potenzielle Emissionsquellen in Betracht, neben Bodenbelägen unterschiedlichster vor allem synthetischer Materialien auch Verlegewerkstoffe wie Kleber sowie Farben, Lacke, Holzschutzmittel, Holzwerkstoffe, Wand- und Deckenverkleidungen, Abdichtungen, Putz, Mauersteine, Zement und Beton. Indes sind bauliche Anlagen gemäß der Landesbauordnungen so zu errichten und instandzuhalten, dass „Leben, Gesundheit und die natürliche Lebensgrundlage nicht gefährdet werden“ (§ 3 Musterbauordnung [MBO], 2002). In einer Stellungnahme des Umweltbundesamtes heißt es: „Bauprodukte, mit denen Gebäude errichtet oder die in solche eingebaut werden, haben diese Anforderung in besonderer Weise zu erfüllen, nämlich dadurch, dass durch chemische, physikalische oder biologische Einflüsse keine Gefahren oder unzumutbaren Belästigungen entstehen (§16 MBO).“
Die Europäische Union trägt der herausragenden Bedeutung der Bauprodukte für das Wohl und Weh des Menschen durch die europäische Bauprodukten-Richtlinie Rechnung, die 1989 in Kraft trat und u. a. die Gesundheit der Gebäudenutzer im Fokus hat. In Deutschland wurde sie 1992 durch das Bauprodukte-Gesetz (BauPG) und die Novelle der Landesbauordnung in nationales Recht umgewandelt.
Einheitliches Bewertungsschema
So weit, so gut. Doch der Gesetzgeber wäre schlecht beraten, würde er sich darauf verlassen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Getreu dem Motto „Verbraucherschutz hat Vorrang“ gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Wie aber lässt sich die Qualität von Bauprodukten in einheitlicher und reproduzierbarer Weise überprüfen?
Der Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB) hat ein Schema zur Bewertung flüchtiger organischer Substanzen (VOC/SVOC) entwickelt. „Die Prüfkriterien des AgBB für Bodenbeläge sehen eine erstmalige Zulassungsprüfung vor, deren Ergebnisse in einer jährlichen Überwachungsprüfung des Bauprodukts kontrolliert werden“, sagt Gerd Bittner vom Textiles & Flooring Institute (TFI) in Aachen, das Emissionsprüfungen u. a. von Bodensystemen vornimmt.
VOC-Prüfungen werden am TFI mittels Prüfkammern u. a. auf Grundlage der Normen DIN EN ISO 16000-9, DIN EN ISO 16000-11 und DIN ISO 16000-6 durchgeführt. Diese Normen legen die Testbedingungen für unterschiedlichste Bodenbeläge in Prüfkammern sowie die analytische Bestimmung der flüchtigen organischen Verbindungen nach drei sowie 28 Tagen durch aktive Probenahme auf geeigneten Adsorbentien, in der Regel Tenax, fest; die Bestimmung der Analyten erfolgt gemäß AgBB nach Thermodesorption (TDS) mit anschließender Gaschromatographie und massenselektiver Detektion (GC/MS). „Für die Zuordnung der Einzelstoffe zu den Retentionsbereichen C6-C16 beziehungsweise >C16-C22 ist die Analytik auf einer unpolaren Säule zugrunde zu legen“, heißt es im „AgBB – Bewertungsschema für VOC aus Bauprodukten; Stand 2010“. Ferner sieht das AgBB-Schema für alle Substanzen „grundsätzlich eine einheitliche Nachweisgrenze von 1 µg pro Kubikmeter Raumluft vor, um das Emissionsspektrum zunächst nach der Art der Verbindungen, sprich: qualitativ, möglichst vollständig zu erfassen. Je nach Anforderung sind alle Einzelstoffe weiterhin zu quantifizieren und ab einer Konzentration von 5 µg pro Kubikmeter Raumluft sowohl als Einzelstoff als auch in der Summe zu berücksichtigen. Ausnahmen gelten für kanzerogene Stoffe der EU-Kategorie 1 und 2. Die Quantifizierung der identifizierten Substanzen mit NIK-Werten und der Kanzerogene hat substanzspezifisch zu erfolgen. Die Quantifizierung der identifizierten Substanzen ohne NIK-Werte und die der nicht-identifizierten (‚unbekannten‘) Substanzen erfolgt jeweils gegen Toluol-Äquivalente.“
Thermoextraktion als Schnellverfahren
Der vom AgBB geforderte Prüfzeitraum von rund einem Monat eigne sich hervorragend, um ein umfangreiches Emissionsprofil zu erhalten, befindet Gerd Bittner. Die Auswertung erfolgt dabei anhand typischer Peakmuster, die sich aufzeichnen und vergleichen lassen; es ließen sich Substanzen qualitativ vergleichen, Leitkomponenten identifizieren und eine Quantifizierung durch Zugabe eines internen Standards realisieren. Die Prüfkammermessung sei überdies nicht nur zeit-, sondern auch arbeits- und kostenintensiv. Für die Industrie stelle die Prüfkammermessung, insbesondere bei Neuentwicklungen, die eine frühzeitige beziehungsweise produktionsnahe Bewertung oder Optimierung des Produkts erforderten, ein Problem dar (time to market). Daher führe das TFI seit Jahren im Zuge der Produktentwicklung, zur Produktions- und Chargenkontrolle sowie zum Zwecke der Reklamationsuntersuchung und Identitätsprüfung im Auftrag Schnelltests mittels Thermoextraktion durch.
Zum Einsatz komme dabei u. a. ein Thermalextractor (TE), der aufgrund seines groß dimensionierten Extraktorrohres (ID: 14 mm, L: 177 mm, davon 75 mm Probenraum) die Aufnahme unterschiedlicher Probearten und -mengen erlaubt: „Wir untersuchen damit textile wie elastische Bodenbeläge, Mehrschichtensysteme wie auch unterschiedlich konsistente beziehungsweise adäquat präparierte Verlegewerkstoffe, also Kleber“, berichtet Gerd Bittner. Die Proben werden ausgeheizt und die extrahierten Analyten auf Tenax angereichert. Die TDS-GC/MS-Analyse erfolgt schließlich gemäß den Richtlinien der AgBB.
„Durch Anpassung der unterschiedlichen Testbedingungen der Thermoextraktion an die Emissionsprüfkammer zeigt das ausgetestete Thermoextraktionsverfahren unter den Aspekten einer Vergleichbarkeit der Emissionen bzw. der typischen Peakmuster qualitativ eine zufriedenstellende Übereinstimmung“, bemerkt Gerd Bittner und ergänzt: „Nach unseren bisherigen Erfahrungen lassen sich mit dem TE-System für ein Kurzzeitverfahren die VOC aus den unterschiedlichsten Bodenbelägen, Verlegewerkstoffen und Fußbodenaufbauten unter den Aspekten der Vergleichbarkeit und des Emissionspotenzials effizient und sicher bestimmen. Damit erweist sich die Thermoextraktion als wertvolle Ergänzung zur Prüfkammeruntersuchung.“
Weitere Informationen:
[1] www.umweltbundesamt.de/bauprodukte/agbb.htm
[2] Gerd Bittner, Textiles & Flooring Institute (TFI), Charlottenburger Allee 41, 52068 Aachen, Telefon 0241-9679-00, Telefax 0241-9679-200, www.tfi-online.de