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Behaglichkeit ist Trumpf - Kunststoffe als Kälteschutz

Der Klimawandel erzeugt Wetterextreme. Das bedeutet heißere Sommer und kältere Winter, als wir in unseren Breiten gewohnt sind. Mit Schneemassen und eisigen Temperaturen schon Anfang Dezember hat der Frost Deutschland auch im Winter 2010/2011 fest im Griff. Gut, dass es Kunststoffe gibt, die unsere Behausungen hocheffektiv vor Auskühlung schützen.

Aus einem ungedämmten Einfamilienhaus, gebaut in den 1960er-Jahren, entweichen über Außenwände, Keller und Dach bis zu zwei Drittel der Heizwärme ins Freie. Nutzlos vergeudet werden dabei jedes Jahr etwa 2000 Liter Heizöl. Um den Wärmeverlust zu verhindern und den Energieeinsatz zu vermindern, benötigen Häuser einen soliden Mantel aus modernen Dämmstoffen.
Diese richten weit mehr aus als selbst die dicksten Wände: Eine gut einen Meter dicke Betonwand erzielt keine höhere Dämmwirkung als handelsübliches Dämmmaterial von lediglich zwei Zentimetern Stärke. In sogenannten Passivhäusern mit einer an die 40 Zentimeter dicken Dämmschicht muss von daher so gut wie gar nicht geheizt werden – für eine behagliche Raumtemperatur sorgt hier vorrangig die „Abwärme“ der Bewohner.

Als klassische Dämmstoffe zum Einsatz kommen u. a.
● natürliche organische Materialien wie Holzfasern, Zellulose, Hanf, Flachs, Kokos, Schilf;
● synthetische anorganische Materialien wie Mineralwolle (Steinwolle, Glaswolle) und Mineralschaum (Porenbeton, Bimsstein, Kalziumsilikat, Schaumglas, Blähperlite);
● synthetische organische Materialien, insbesondere Hartschaum aus Polystyrol oder Polyurethan.

Nachwachsende, natürliche Materialien sind für die Wärmedämmung im Innenbereich von Häusern geeignet, taugen aber kaum für die Außendämmung, weil sie viel Wasser aufnehmen und leicht entflammbar sind. Ein weiteres Kriterium, das über die Eignung von Dämmmaterial entscheidet, ist möglichst geringe Wärmedurchlässigkeit. Ein guter Dämmstoff setzt thermischer Energie einen hohen Widerstand entgegen, leitet also Wärme nur schlecht. Die Wärmeleitfähigkeit wird in Watt je Kelvin und Meter angegeben, abgekürzt W/(mK). Im Bauwesen spricht man vom sogenannten Lambda-Wert (λ).

Je kleiner die Wärmeleitzahl, desto besser folglich die Dämmwirkung des Materials:
● Holzwolle: 0,09
● Kalziumsilikat: 0,065
● Blähperlit: 0,05
● Kokosfaser: 0,045
● Mineralwolle: 0,04
● Polystyrol (PS): 0,035
● Polyurethan (PU): 0,025
● Polyisocyanurat (PIR): 0,023

Der wichtigste vollsynthetische Kunststoff auf dem Gebiet der Wärmedämmung ist geschäumtes Polystyrol. Als Grundstoff fungiert Styrol (C8H8) aus der Erdölraffinerie, erzeugt aus Benzol (C6H6) und Ethylen (C2H4). In Gegenwart von Katalysatoren oder erhöhten Temperaturen polymerisiert Styrol zu Polystyrol: Die Monomere reihen sich zu Makromolekülketten aneinander; das Material wird unverrottbar, die Wasseraufnahmekapazität sinkt.

Am weitesten verbreitet ist expandierter Polystyrolhartschaum (EPS). Bei der Herstellung wird Polystyrolgranulat („Gries“) verwendet, in das Pentan (C5H12) als Treibmittel eingearbeitet wurde. Durch Erhitzen auf über 90 Grad Celsius verdampft das Pentan und schäumt das Grundmaterial auf das 20- bis 50-Fache seines Volumens auf. Im Zuge einer weiteren Heißluftbehandlung lassen sich dann Blöcke, Platten und andere Formteile aus EPS fertigen.

Extrudierter Polystyrolhartschaum (XPS) wird als kontiniuierlicher Schaumstoffstrang hergestellt. In einem Extruder wird Polystyrol aufgeschmolzen und nach Zugabe des Treibmittels Kohlendioxid (CO2) unter hohem Druck durch eine formgebende Öffnung gepresst (Extrusion). Hinter der Düse baut sich dann der XPS-Strang auf. Dessen Dicke lässt sich mit der Breite der Extruderöffnung entsprechend variieren.

Alterungs- und feuchtebeständig sowie nur gering wärmeleitfähig, genügen EPS wie XPS höchsten Anforderungen an die Wärmedammung. Allerdings gilt es beide Schaumstoffe gegen UV-Strahlen abzuschirmen, denn Sonnenlicht macht sie spröde und lässt sie vergilben. Die Ökobilanz wird geschmälert durch den Einsatz der genannten Treibmittel. So trägt Pentan zum Sommersmog bei, in die Stratosphäre gelangt es aber nicht. In Deutschland nicht mehr verwendet werden teilhalogenierte Fluorchlorkohlenwasserstoffe (HFCKW), die früher bei der Herstellung von XPS eine Rolle spielten.

Zur Nummer eins unter den Dämmstoffen stieg Polystyrol bereits in den 1960er-Jahren auf. Allseits bekannt wurde es damals unter dem Handelsnamen Styropor. Erfunden worden war der federleichte Werkstoff (Luftanteil in den Poren: bis zu 98 Prozent) bereits 1949 von Fritz Stastny (1908-1985), einem Chemiker bei der BASF in Ludwigshafen. Dem Unternehmen ist es neuerdings gelungen, EPS zu Neopor weiterzuentwickeln und damit die Wärmeleitfähigkeit des Materials auf 0,032 W/(mK) zu drücken. Bewirkt hat dies der Zusatz von Graphitpartikeln im Rohgranulat. Die deswegen silbergrau schimmernden Schaumstoffplatten absorbieren nun zusätzlich Infrarotstrahlen; der Transport thermischer Energie wird so weiter vermindert. Neoporplatten können daher bis zu 30 Prozent dünner sein als herkömmliche Polystyrolplatten und ermöglichen deutlich schlankere Dämmkonstruktionen.

Schaumstoffe aus Polyurethan (C3H8N2O) werden im Bauwesen ebenfalls als Materialien zur Wärmedämmung geschätzt. Sie entstehen aus der Polyadditionsreaktion von Diolen bzw. Polyolen mit Polyisocyanaten (Treibmittel). Die Reaktionsmischung wird in Formen gegossen, in denen sowohl das endgültige Verschäumen als auch der Härtungsprozess unter Druck und Erwärmen vor sich gehen. Zum Schluss werden die Schaumblöcke zu Platten oder Folien geschnitten. Als Hartschaum wird Polyurethan auf Flach- wie Steildächern als Dämmstoff eingesetzt, der wie Polystyrol vor UV-Licht geschützt werden muss.

Das Patent für die Herstellung von Polyurethan wurde 1937 erteilt. Erfinder ist Otto Bayer (1902-1982), Chemiker der I.G. Farbenindustrie in Leverkusen. Als Dämmstoff zum Einsatz kam Polyurethan ab den 1950er-Jahren u. a. in Gebäuden, Frachtcontainern und Kühlschränken. Der weltweite Verbrauch lag 2007 bei über 12 Millionen Tonnen und nimmt weiter zu.

Mit Polyurethan verwandt, aber chemisch und thermisch stabiler ist der Kunststoff Polyisocyanurat. Der Anteil von Diphenylmethan-4,4′-diisocynat (MDI) ist höher als bei Polyurethan. Weiterhin wird als Reaktionspartner ein Polyesterpolyol anstelle eines Polyetherpolyols verwendet. Als Strukturelement kommt in Polyisocyanurat die tautomere Isocyanursäure (1,3,5-Triazin-2,4,6-trion) vor. Polyisocyanurat wird in Form von Hartschaumplatten als Dämmmaterial zur Wärmeisolation von Gebäuden verwendet. Mit 0,023 W/mK ist seine Wärmeleitfähigkeit eine der geringsten und damit besten unter den klassischen Dämmstoffen.

Zwecks noch effizienterer Wärmedämmung erforscht das Netzwerk Innovative Dämmtechniken, angeschlossen der in Kiel ansässigen Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (www.arge-sh.de), u. a. den Einsatz von Vakuumdämmplatten, auch Vakuum-Isolations-Paneele (VIPs) genannt. Mit VIPs lassen sich Wärmeleitfähigkeiten zwischen 0,003 und 0,008 W/mK erzielen. Das bedeutet: Eine nur 20 Millimeter starke Vakuumdämmplatte ersetzt eine zehnmal so dicke Styroporplatte. Vom Aufbau erinnert die VIP an eine Thermoskanne: gasdichte Hülle, Vakuum und Stützkern. Als Stützmaterial eignen sich beispielsweise offenporige Kunststoffschäume (Lambda-Wert: 0,008 W/mK); als Hüllmaterial werden standardmäßig mit Aluminium bedampfte Kunststofffolien verwendet. Der verbesserte Dämmeffekt geht in erster Linie auf das Konto des Vakuums; bricht es zusammen, weil die Hülle beschädigt wurde, steigt die Wärmeleitfähigkeit drastisch an, d. h. die VIP büßt ihren Nutzen nahezu vollständig ein.

Auch außer Haus lassen uns Kunststoffe im Winter nicht im Stich: Der Kälte trotzt Thermobekleidung aus synthetischen Textilfasern, allen voran Polyester. Das Material vereist nicht, ist wind- und wasserdicht. Und es hält den Körper ebenso warm wie trocken, denn es leitet Schweiß und Kondensationfeuchtigkeit weiter, sodass beides verdunsten kann. Auch Polyacryl und Polyamid (Nylon) finden in Kälteschutzkleidung Verwendung.
Speziell Regenanzüge, Handschuhe oder Stiefel sind nicht selten mit Polyvinylchlorid (PVC) beschichtet. Strapazierfähigkeit und Beständigkeit gegenüber Umwelteinflüssen sind unübertroffen – weder Säuren noch Temperaturen bis zu minus 50 Grad Celsius können ihm etwas anhaben. Im kommenden Jahr wird PVC bereits 100 Jahre alt: 1912 gelang Fritz Klatte (1880-1934), Chemiker bei Griesheim Elektron, später Hoechst AG, die Polymerisation von Vinylchlorid (C2H3Cl). Die Entwicklung eines verkaufsfähigen Produkts scheiterte allerdings, Griesheim Elektron gab Klattes Patente anno 1926 auf. Im Sterbejahr des Erfinders gelang der BASF dann die Herstellung von PVC, das sich nicht mehr zersetzt. Nach 1945 wurde PVC zum meistproduzierten Kunststoff der Welt und trat seinen Siegeszug als Fensterrahmen, Bodenbelag und – nicht zuletzt – als Schallplatte an.

Übrigens: In Sachen Berufskleidung ist Kälteschutz nicht nur im Winter Thema: Wer in Kühlhäusern oder Kältelaboratorien Dienst tut, trägt ganzjährig Spezialkleidung nach DIN EN 342 („Kleidungssystem zum Schutz gegen Kälte“). Gelegentlich sind vergleichbare Maßnahmen sogar in der Freizeit ratsam: Um nicht auszukühlen, schlüpfen Wassersportler wie Taucher und Surfer in Ganzkörperanzüge aus Polychloropren (Chloropren-Kautschuk), besser bekannt unter den Markennamen „Neopren“ (Hersteller: DuPont) oder „Baypren“ (Hersteller: Lanxess). Produziert wird es durch Polymerisation von Chloropren (2-Chlor-1,3-butadien; C4H5Cl). Vulkanisation macht es chemisch beständig und widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse. Anders als die meisten anderen ungesättigten Elastomere lässt sich Polychloropren nicht mit Schwefel vulkanisieren; zum Einsatz kommen stattdessen Metalloxide (ZnO, MgO). Wird das Vulkanisat schlussendlich mithilfe chemischer Treibmittel geschäumt, nimmt es jene Eigenschaften an, die es zur Thermoisolierung prädestinieren.

Mit vulkanisiertem Gummi (Erfinder: Charles Goodyear, 1800-1860) stand bereits 1839 ein robustes wasserdichtes Material für Tauchanzüge zur Verfügung. Auf dessen Thermoeigenschaften kam es dabei nicht an, denn die Taucher konnten in diesem Trockenanzug wärmendes Wollzeug tragen. In dem heute gebräuchlichen Nassanzug aus Neopren (1930 erfunden, seit 1954 auf dem Markt), bleiben Taucher hingegen nicht trocken und tragen besser nichts drunter. In den Anzug dringt nämlich Wasser ein – keine Panne, sondern Kalkül: Durch Bewegungszirkulation soll es zu einem Wärmeaustausch mit der Umgebung kommen. Das ist natürlich nur in wärmeren Gewässern wie dem Roten Meer oder dem Indischen Ozean ein Vergnügen. Fürs Tauchen in kälteren Meeren verwenden Profis einen Spezialanzug, in den heißes Wasser geleitet wird. Praktikabler ist ein sogenannter Halbtrockenanzug, der sogar zum Eistauchen geeignet ist. Dichtmanschetten verhindern hier den Wasseraustausch; die Wärmeisolierung übernimmt wie beim Nassanzug das Neopren. gd