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Biobasierte Kunststoffe im Fokus

Von Guido Deußing

Kristy-Barbara Lange, Head of Communication von European Plastics

Biokunststoffe sind ein logischer und notwendiger Schritt auf dem Weg zu mehr Klimaschutz und einer biobasierten Wirtschaft. Insbesondere die Kunststoffindustrie bietet das Potenzial, die Emission von Kohlendioxid zu reduzieren, fossile Ressourcen einzusparen und die Nutzung nachhaltiger Rohstoffe voranzutreiben“, meint „European Bioplastics“, der Verband der Biokunststoffindustrie in Europa, und greift damit die Ergebnisse einer jüngeren US-Studie an, die aus Sicht des Verbandes nicht den Status quo beleuchte. „Die Studie empfiehlt Optimierungen, die bereits Einsatz finden“, wundert sich European Plastics und geht in die Offensive. k-online.de erläutert im Gespräch mit European Plastics, Empfehlungen und Schlussfolgerungen der Studie.

k-online.de: Die Ergebnisse einer neuen Studie „Nachhaltigkeit von biobasierten Kunststoffen: allgemeine vergleichende Analyse und Verbesserungsempfehlungen“ von
wurde vor kurzem im Journal of Cleaner Production 23 (2012) 47-56 veröffentlicht. Was sagen Sie dazu?

European Plastics: Diese Studie ist die erste dieser Art und geht über das Lebenszyklus-Konzept und die Umweltverträglichkeitsanalyse hinaus. Sie schließt politische Parameter ein, die nicht unbedingt wissenschaftlich gestützt werden, und kann nicht als gesellschaftlicher oder akademischer Konsens betrachtet werden.

k-online: Alles in allem erkennt die Studie das Potential von bio-basierten Kunststoffen an, die allgemeine Nachhaltigkeit in Bezug auf Produktion und Verbrauch von Kunststoffen zu verbessern. Die Autoren erkennen die Vorteile der Erneuerbarkeit, das Potential für Energieeinsparungen und zusätzliche Entsorgungsmöglichkeiten an, die von vielen biobasierten Polymeren dargeboten werden.

European Plastics: Leider sind aufgrund teilweise veralteter Daten viele der Empfehlungen der Studie mittlerweile überholt, da Optimierungsprozesse in der Biokunststoff-Industrie bereits laufen. Wichtige Verbesserungen in Sourcing-Strategien der Biokunststoff-Unternehmen aus den letzten Jahren und Fortschritte in der Produktionstechnologie, die zu geringerem Chemikalieneinsatz, geringerem Wasserverbrauch und weniger Entstehung von Nebenprodukten führten, wurden von den Autoren nicht berücksichtigt. Darüber hinaus basiert die Studie auf einer begrenzten Anzahl von Beispielen (Arten von Biokunststoff-Materialien), was zu unausgewogenen Schlussfolgerungen führt.

k-online: Einige spezifische Bemerkungen zu den Empfehlungen und Schlussfolgerungen der Studie, zum Beispiel zu den Leitprinzipien für Nachhaltigkeit.

European Plastics: Die Studie wendet den Katalog der Sustainable Biomaterials Coalition (SBC) mit zwölf Leitprinzipien zur Messung von Nachhaltigkeit auf Biokunststoffe an. Das ist in der Hinsicht problematisch, als dass diese Indikatoren besser für die Einschätzung der Nachhaltigkeit von fertigen Produkten als einer Materialgruppe geeignet sind. Empfehlungen wie „Reduzierung von Einwegprodukten“ oder „Entwicklung von recycelbaren Produkten“ sind nicht auf Materialien anwendbar, sondern beziehen sich auf Endprodukte.

k-online: Einschätzung ausgewählter Materialien

European Plastics:Die Bezeichnung „Biokunststoffe“ umfasst eine Vielzahl an Materialien. Diese Studie konzentriert sich jedoch auf ausgewählte Materialarten, zum Beispiel PLA oder biobasiertes PUR. Sie berücksichtigt keine kürzlich entwickelten Materialien wie biobasiertes Polyethylen (PE) oder teilweise biobasiertes Polyethylenterephtalat (PET), die für den Markt von hoher Relevanz sind (siehe Publikationen von European Bioplastics zur weltweiten Produktionskapazität von Biokunststoffen 2010-2015, verfügbar unter www.europeanbioplastics.org. Anmerkung der Redaktion).

k-online: Stichwort: Genmodifizierte Organismen (GMO)

European Plastics: Der Fokus auf ausgewählte Materialien und die starke Betonung von genetisch modifizierten (GMO)-Kulturpflanzen führen generell zu einer verzerrten Auffassung von Biokunststoff-Materialien. GMO ist ein spezifisches Thema für Produktionsstätten in einigen Regionen, zum Beispiel in den USA, die bestimmte Feldfrüchte verwenden (vor allem Mais und Soja). Der Übergang zu GMO-Pflanzen wird weder durch die Biokunststoff-Industrie vorangetrieben, noch ist er eine Voraussetzung für die Produktion von Biokunststoffen. Im Gegenteil, Hersteller und Markeninhaber suchen häufig nach Möglichkeiten, GMO-freie Materialien anzubieten oder Ausgleichsprogramme zu etablieren. Einige Hersteller, die Mais aus den USA als Ausgangsquelle benutzen, bieten ihren Kunden verschiedene Optionen an, um entweder die Nutzung von GMO-Pflanzen zu kompensieren oder Chargen mit GMO-freien Pflanzen zu produzieren. In den USA hat das Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) das Working Landscape Certification Programm entwickelt, um mehr Kulturpflanzen durch nachhaltige und GMO-freie landwirtschaftliche Praktiken anzubauen.

k-online: Stichwort: Giftigkeit

European Plastics: Die Produktion von biobasierten Kunstoffen erfordert Energie, Chemikalien und Katalysatoren und unterscheidet sich so nicht von anderen Kunststoffen. Die chemische und die Kunststoffindustrie besitzen langjährige Erfahrung im sicheren Umgang mit Produktionsverfahren und in der Minimierung von Risiken für Arbeiter und Umwelt. Außerdem existieren ausreichende Richtlinien zur Sicherung der Gesundheit von Nutzern von Kunststoffprodukten, etwa Richtlinien bezüglich des Lebensmittelkontaktes. Die detaillierte Beschreibung von toxikologischen Einflüssen von Chemikalien und Katalysatoren in dieser Studie ist nicht korrekt.

k-online: Stichwort: Kompostierbarkeit

European Plastics: Die Studie verknüpft auch die Konzepte von biobasierten Materialien mit der Eigenschaft der Bioabbaubarkeit. Dies ist ein gängiges Missverständnis. Die Bioabbaubarkeit eines Kunststoff-Materials hängt nicht von der Herkunft des Rohstoffes ab. Materialien aus 100 Prozent erneuerbaren Quellen können vollständig gegen biologischen Abbau resistent sein. Ebenso können Kunststoffe auf Erdölbasis biologisch abbaubar sein. Dementsprechend kann die Mischung von erneuerbaren Rohstoffen mit erdölbasierten Kunststoffen sowohl biologisch abbaubare als auch biologisch nicht abbaubare Verbindungen ergeben. Zur Unterscheidung beider Mischungsarten sind die Kompostierbarkeitszertifizierung und Kennzeichnung nach EN 13432, ASTM 6400 oder ISO 17088 von Nutzen. Kompostierung ist eine realisierbare Entsorgungsmöglichkeit für bestimmte Produktkategorien. Je nach Art können biobasierte Polymere jedoch durch mechanisches Recycling und Rohstoffwiedergewinnung recycelt werden, oder mit Energiegewinn verbrannt werden. Die Erstellung von Nutzungskaskaden mit Mehrfachnutzung, Recycling und letztlichem energetischen Verbrauch garantiert die effiziente Nutzung von erneuerbaren Rohstoffen.

k-online: Stichwort: Technologische Fortschritte

European Plastics: Die Produktion von biobasierten Kunststoffen befindet sich noch in einer Frühphase und die Industrie entwickelt ständig maßgebliche Verbesserungen. Die Studie bezieht diese Entwicklungen in ihre Bewertung der Produktion von biobasierten Kunststoffen nicht ein. Beispielsweise setzt NatureWorks, der global führende Hersteller von PLA, schon seit 2008 ein effizienteres Milchsäuregärungsverfahren ein, das die Bildung von Milchsäurekoppelprodukten erheblich reduziert.

k-online: Stichwort: Landwirtschaft und Biokunststoffe

European Plastics:Die Einhaltung der Regeln anerkannter landwirtschaftlicher Praktiken ist eine wichtige Voraussetzung für die vollständige Ausschöpfung der ökologischen Vorteile biobasierter Kunststoffe. Derzeit werden neue Programme entwickelt, die sicherstellen sollen, dass die Bedingungen für Nachhaltigkeit während der Herstellung landwirtschaftlicher Rohstoffe eingehalten werden. Die International Sustainability and Carbon Certification (ISCC)-Organisation startete kürzlich das ISCC-Plus- Programm, das speziell auf Biokunststoffe ausgerichtet ist. ISCC-Plus befasst sich mit Kriterien für nachhaltige Rohstoffe auf der Stufe der Landwirtschaftsbetriebe, sowie der Produktionskette und der Nachvollziehbarkeit bis zum Kundenverkauf.

k-online: Sehen Sie weiter Rohstoffquellen für die Herstellung von Biokunststoffen?

European Plastics: Schon heute werden bestimmte Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion in der Herstellung einiger Biokunststoffe verwendet. Diese Quelle bietet sicherlich das Potential für eine verstärkte Nutzung. Zellulosehaltige Rohstoffe werden bereits für einige Arten von Materialien verwendet, zum Beispiel regenerierte Zellulose, Zelluloseacetate und Lignin-basierte Polymere. Intensive Forschung und Entwicklung findet im Bereich der Bioraffinerien statt, wodurch Rohstoffe der zweiten Generation wie Getreidestroh, Maisstroh oder andere Zellulose-basierte Materialien als potenzielle Quellen erschlossen werden. Sobald diese etabliert sind, wird ein Strom von fermentierbaren Zuckern auf Basis von Nicht-Lebensmittel-Kulturpflanzen für Energie, Chemikalien und Polymere nutzbar werden. Dies wird zusätzlich potentielle Konflikte bezüglich der Landnutzung für Lebensmittel- oder Rohstoffgewinnung reduzieren.

k-online: Wie sehen Sie die Zukunft biobasierter Kunststoffe?

European Plastics: Das Potential von Biokunststoffen ist unbestritten. In Anerkennung des ambitionierten Ziels der Studie, Biokunststoffe und ihr vollständiges Potential zu bewerten, ist European Bioplastics gern offen für den wissenschaftlichen Diskurs und stellt seine Expertise und Networks zur Verfügung, um aktuelle Einblicke in unsere Industrie und zukunftsträchtige Empfehlungen zu ermöglichen.

k-online: Wie sehen Sie den langfristigen Nutzen von Biokunststoff?

European Plastics: Biokunststoffe sind ein logischer und notwendiger Schritt, auf dem Weg des Klimaschutzes und hin zu einer biobasierten Wirtschaft. Klimaschutz ist kein Trend mehr, sondern eine Notwendigkeit und die Kunststoffbranche muss hier Mittel und Wege finden, mitzuhalten. Biokunststoffe sind ein Teil der Kunststoffbranche, die den Bereich voranbringen. Sie bieten großes – teils noch nicht nutzbares – Potenzial Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, fossile Ressourcen zu sparen und eine nachhaltigere Nutzung von Rohstoffen (Erneuerbarkeit!) voranzutreiben.

k-online: Denken Sie, biobasierte Kunststoffe werden sich absehbar gegen konventionelle Kunststoffe, hergestellt aus fossilen Rohstoffquellen, durchsetzen?

European Plastics: Aufgrund der Größenverhältnisse (1 Million Tonnen Biokunststoffe jährlich – 2011; 250 Millionen Tonnen Kunststoffe generell) ist die Substitution von Kunststoffen durch Biokunststoffe – auch wenn technisch möglich – auf kurze Sicht realitätsfern. Mit einem jährlichen Wachstum von ca. 20 % werden Biokunststoffe jedoch weiter die unterschiedlichsten Marktsegmente erobern. Fragen, etwa zum Abfallmanagement oder der Produktoptimierung einzelner Anwendungen, werden mit fortschreitender Entwicklung gelöst werden.

k-online: Vielen Dank für das Gespräch.

k-online.de sprach mit Kristy-Barbara Lange, Head of Communication von European Plastics. Weitere Informationen über den Verband und seine Aufgaben erhalten Sie im Internet unter www.european-plastics.org.

Link zur kritisierten Studie:
Clara Rosalía Álvarez-Cháveza, Rafael Moure-Erasoa, and Kenneth Geisera. Sustainability of bio-based plastics: general comparative analysis and recommendations for improvement. Journal of Cleaner Production, 23 (2012) 47-56.