Dass Fritz Klatte in dieser Darstellung keine Erwähnung findet, hat seinen Grund: Am Siegeszug des PVC nahm er keinen entscheidenden Anteil mehr, weil er bereits 1934 verstarb. Der Polymer-Pionier litt seit 1917 an Lungentuberkulose und musste seine Arbeit immer wieder durch längere Kuraufenthalte, vorwiegend in der Schweiz und in Österreich, unterbrechen. So gibt das erwähnte „Abstopp-Patent“ aus dem Jahr 1930 als Klattes Wohnort Annabichl bei Klagenfurt an, wo er im Sanatorium lebte. Nach seinem 50. Geburtstag wurde sein gesundheitlicher Zustand immer kritischer. Schon die Versetzung nach Rheinfelden war krankheitsbedingt erfolgt – „mit der Aufgabe, im Laboratorium an den Problemen weiterzuarbeiten, da er gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, einen Betrieb einzurichten oder einem solchen vorzustehen. Er ist aber während der ganzen Zeit seiner Krankheit verhältnismäßig viel zu wissenschaftlichen Vorträgen und Propagandaarbeit herumgeschickt worden“, heißt es in einem Brief der Chloberag Rheinfelden. Im Frühjahr 1931 hatte Klatte die regelmäßige Mitarbeit im Kreise der IG-Betriebe einstellen müssen. Im Archiv der Farbwerke Hoechst finden sich nach diesem Zeitpunkt keine Briefe und Berichte mehr von ihm; auch an den späteren Sitzungen der Kunststoffkommission nahm er nicht mehr teil. „Sein größter Schmerz war, daß er seine Arbeit aufgeben mußte. Aber seine Gedanken waren ruhelos mit Kunstharzen beschäftigt“, erinnerte sich die Witwe Cäcilie Klatte, geb. Skutetzky, die seit 1903 mit ihm verheiratet war und drei Kinder gezeugt hatte. Im Juli 1932 wurde Klatte wegen seiner zerrütteten Gesundheit beurlaubt und beantragte 1933 seine vorzeitige Pensionierung. Das Jahr verbrachte er überwiegend in Sanatorien, aus denen er seiner Frau erschütternde Briefe schrieb: „(G)anz plötzlich heute früh eine massenhafte Entleerung von Eiter aus der Lunge, und zwar innerhalb von 2 Stunden 250 g.“ (11. 7. 1933) – „Jede neue Komplikation bringt mich in Lebensgefahr. Wäre bei der furchtbaren Anstrengung, mit der ich den Eiter herausbringen mußte, ein auch nur kleines Blutgefäß gerissen, ich wäre verblutet. Der Kräftezustand ist erschreckend.“ (20. 7. 1933) – „Beschwer an allen Enden. Wie lange noch?“ (8. 11. 1933) Zum 1. 1. 1934 wurde Klatte in den Ruhestand versetzt. Nur wenige Wochen später, am 11. Februar 1934, starb er mit 53 Jahren im Sanatorium Klagenfurt. In dieser Stadt wurde er auch beerdigt. Die Grabstätte auf dem Friedhof St. Georgen hatte Klatte im Vorgefühl des nahenden Todes schon im Jahr zuvor persönlich ausgewählt.
„Ein Mann lebte 20 Jahre zu früh“ ist ein Text über Fritz Klatte und die Vorgeschichte des PVC überschrieben, der in der Zeitung „Blick auf Hoechst“ publiziert wurde. Es vergingen nämlich gut zwanzig Jahre, ehe seine Patente Früchte trugen und die PVC-Fabrikation in großem Stil begann, was Klatte schon nicht mehr erlebte. „(E)r starb vor dem Sieg mitten im Kampf. [...] Klattes Erfindung kam zu früh. Damals fehlten zu viele Voraussetzungen für den praktischen Erfolg“, schreibt Dr. Hans Walter Flemming (1900-1969), Leiter der Presseabteilung der Hoechst AG, in einem Klattes Pionierpatente behandelnden Band der Reihe „Dokumente aus Hoechster Archiven“. „So ist denn auch einem Fritz Klatte das tragische Geschick nicht erspart geblieben, zwar von einer metaphysischen Macht zum Schauen und Schaffen begnadet zu werden, um neue und weittragende Ideen zum Wohle der Menschheit zu empfangen, zugleich aber auserwählt zu sein, [...] erst in eine Zukunft hinein zu wirken“, resümiert im selben Band Dr. Willy O. Herrmann (1886-1972), Geschäftsführer des Consortiums für elektrochemische Industrie im Zeitraum 1918 bis 1936 und 1946 bis 1952.
Klattes frühe Verdienste gerieten mit den Jahren zunehmend in Vergessenheit – selbst bei Mitarbeitern in Rheinfelden wie Dr. Carl Jung: „Daß Herr Dr. Klatte auf dem Gebiete des Chlorvinyls irgendwie beschäftigt und an den Versuchsergebnissen beteiligt gewesen sein soll, ist mir nicht bekannt.“ Klattes Ruhm verblasste, sein Grab in Klagenfurt verfiel. Die Vertretung der Farbwerke Hoechst in Österreich, Vedepha, stellte am 26. Dezember 1965 einen neuen Grabstein auf und kümmerte sich fortan um die Grabpflege. Klattes Andenken hoch halten heute drei deutsche Städte, die Straßen nach ihm benannt haben: Frankfurt am Main, Bad Dürrenberg/Sachsen-Anhalt und nicht zuletzt Klattes Geburtsstadt Diepholz, die überdies 1978 eine Gedenktafel (aus PVC!) am Geburtshaus installiert und 1981 einen Gedenkstein aufgestellt hat. Den Findling ziert die Aufschrift „Dr. Fritz Klatte, Sohn dieser Stadt, Pionier der Kunststoff-Chemie, 28. 3. 1880 – 11. 2. 1934“. Zudem trägt das Verwaltungsgebäude der in Diepholz seit 1974 ansässigen P+S Polyurethan-Elastomere GmbH & Co. KG (vormals P+S Plast- und Schaumtechnik GmbH & Co. KG) den Namen „Dr.-Fritz-Klatte-Haus“.