Der Sommer meldet sich ab, der Herbst ist da. Die Tage werden spürbar kürzer, die Temperaturen sinken vor allem des Nachts, und jeder Zeit ist mit Regen zu rechnen. Den besten Schutz vor Wassereinbrüchen an den unteren Extremitäten bieten wasserdichte Treter aus Kunststoff mit Schaft: Gummistiefel. Hier erzählen wir ihre Geschichte.
Wenn zum Jahresende hin die Temperaturen sinken, ist Regen, wenn er vom Himmel hoch herniederfällt, nicht mehr schön und erfrischend, sondern nass und kalt. Typisches Erkältungswetter. Den besten Schutz vor Wassereinbrüchen an den empfindlichen unteren Extremitäten bieten wasserdichte Treter aus Kunststoff mit Schaft: Gummistiefel sind nicht allein des Bauers Fußbewehrung Nummer eins auf dem Feld wie bei der Stallarbeit oder des Jägers treue Begleiter auf der Pirsch. Gummistiefel setzen zunehmend klare Akzente in Richtung schick und modern:
Zu den führenden Mode bewussten Nationen zählt schon in früher Zeit die Französische Republik. Wie kaum sonst jemand prägten die in Paris ansässigen Schneider und Designer das internationale Modegeschehen – mit Anziehsachen und Begrifflichkeiten à la „Haute Couture“ und „Prêt-à-porter“. So unterschiedlich beide Moderichtungen auch sein mögen, die eine für den Laufsteg und ganz besondere Gelegenheiten gedacht, die andere straßentauglich und bezahlbar, eines ist beiden gemein:
Irgendwie wollen sie immer „très chic“, todschick, sein. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, wohl aber über die Funktionalität eines Bekleidungsstücks. In diesem Punkt kam den Franzosen, die nicht nur Ästheten, sondern auch praktisch veranlagt sind, Mitte des 19. Jahrhunderts ein Ausländer zuvor.
Vom Leben auf dem Lande und einem visionären Unternehmensgründer
Das Gros der Franzosen arbeitete seinerzeit in der Landwirtschaft. Bei Wind und Wetter draußen zu sein bedeutete für sie nicht allein Verbundenheit mit Mutter Natur, die sie nährte – und deren Unbilden sie nahezu schutzlos ausgesetzt waren. Mal brannte die Sonne vom Himmel hernieder, dann regnete es über Tage und Wochen; von Erschwernissen durch Eis und Schnee ganz zu schweigen. Aus urbarem Boden wurde, bei hinreichender Berieselung, in null Komma nichts ein Sumpf, den zu durchwaten alles andere als angenehm war, vor allem in der nasskalten Jahreszeit. Nicht selten blieben die damals als Fußbekleidung üblichen und weitverbreiteten Holzpantinen im Schlamm stecken oder verschwanden gar auf Nimmerwiedersehen im morastigen Untergrund. Kurz: Die hölzernen Pantoffeln erwiesen sich für die Landbevölkerung als brauchbare Lösung, nicht aber als die beste. Das rief den US-amerikanischen Ingenieur Hiram Hutchinson (1808-1869) auf den Plan.
Um 1839 hatte sein Landsmann Charles Goodyear (1800-1860) (zeitgleich mit dem Engländer Thomas Hancock, 1786-1865) das Verfahren der Vulkanisation entwickelt, mit dem sich aus plastischem Kautschuk elastisches Gummi herstellen ließ. (Am Rande bemerkt: Die Geschichte des Kautschuks reicht selbstredend sehr viel weiter zurück in die Vergangenheit. Sie führt in exotische Gefilde und in ein blutiges, wenig ruhmvolles Kapitel der Menschheitsgeschichte. Mehr dazu im Thema des Monats "Von Blutgummi bis Buna: Der Weltkrieg um Kautschuk" Teil I-1, Teil II-2)
Goodyears und Hancocks Entdeckung erwies sich, wie wir heute wissen, als Meilenstein der Kunststoffforschung. Zwecks Vulkanisation wird eine Kautschukmischung, bestehend aus Rohkautschuk, Schwefel oder schwefeligen Stoffen wie Dischwefeldichlorid (S2Cl2), Katalysatoren zur Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit und Füllstoffen, erhitzt. Im Verlauf dieses Prozesses bilden sich Schwefelbrücken, über die sich die langkettigen Kautschukmoleküle vernetzen. Während dieser Reaktion verliert der Kautschuk seine Plastizität. Das hierbei entstehende Material wiederum hat gegenüber dem Ausgangsprodukt dauerelastische Eigenschaften, kehrt bei mechanischer Beanspruchung jeweils wieder in seine Ursprungslage zurück, ist reißfester, dehnbarer und nicht zuletzt beständiger gegenüber Alterung und Witterungseinflüssen.
Hiram Hutchinson muss elektrisiert gewesen sein, als er dieses beeindruckend elastische, wasserdichte Material namens Gummi kennenlernte. Dessen Neuheit mitsamt den vielfältigen, bislang bei keinem Material festgestellten Eigenschaften beflügelte die Fantasie des visionären Ingenieurs mit Hang zum Unternehmer. Was sich nicht alles aus Gummi herstellen ließ! Zum Beispiel strapazierfähiges Schuhwerk. Eben dies tat Hutchinson, nachdem er von Goodyear die Lizenz zur Herstellung von Stiefeln aus Gummi erworben hatte. Damit trat er in Konkurrenz zu den bekannten Holzpantinen. Von einer wachsenden Nachfrage nach seinen Gummistiefel ausgehend, siedelte Hutchinson Mitte des 19. Jahrhunderts nach Frankreich über und gründete dort 1853 im rund 100 Kilometer von Paris entfernten Montargis ein Werk zur industriellen Verarbeitung von Kautschuk (Aigle), sieben Jahre später dann auch im badischen Mannheim.
Das von Hiram Hutchinson ins Leben gerufene Unternehmen expandierte im Zuge des industriellen Aufschwungs der Gründerzeit sehr rasch (Meilensteine des Unternehmens). Die Familie eröffnete in Frankreich weitere Firmen sowie Niederlassungen in Spanien und Italien. Im Jahr 1903 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und der Geschäftssitz auf die Champs-Élysées in Paris verlegt. Seit 1974 gehört die Hutchinson S. A. zur Chemical Division des französischen TOTAL-Konzerns. Hutchinson selbst zählt heute zu den weltweit führenden Herstellern und Verarbeitern qualitativ hochwertiger Elastomerprodukte und ist auf vielen Gebieten Marktführer. Die Hutchinson-Gruppe umfasst weltweit rund 120 Produktions- und Vertriebsstätten mit mehr als 25.000 Mitarbeitern. Der Umsatz (im Jahr 2009 rund 2,3 Mrd. Euro) wird in den Märkten Automobil, Industrie und Konsumgüter erwirtschaftet.
Die Erfolgsgesichte des Gummistiefels in Großbritannien
Hiram Hutchinson war nicht der einzige Amerikaner, der mit Goodyear einen Vertrag schloss. Gleiches tat auch Henry Lee Norris (1813-1881), ein Unternehmer aus New Jersey, der sich 1856 auf den Weg nach Schottland machte, um im britischen Empire sein Glück mit Kautschuk und Gummistiefeln zu versuchen. Im Gegensatz zu Hutchinson hatte Norris nicht die von Arbeitern und Bauern geprägte Bevölkerungsschicht zur Zielgruppe erklärt. Seinen Markt fand er vor allem bei den Bessergestellten, den adligen Gentlemen und den Offizieren. Zupass kamen Norris eine bereits bestehende Infrastruktur und ein glücklicher Umstand.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte sich Großbritannien in aller Welt einen Namen als Militärmacht. Nicht nur in Europa, auch im fernen Indien marschierten die königlichen Truppen und verteidigten wichtige Bastionen des britischen Empires. Es ging um imperiale Hegemonie, Ansehen und Ressourcen. Währenddessen erlebte die Herrenmode im eigenen Land einen gewaltige Revolution: Die Kniebundhose wurde abgelöst von längeren, eng anliegenden Beinkleidern. Von diese Trendwende betroffen war auch das Schuhwerk, das zum damaligen Zeitpunkt dominiert war von den sogenannten Hessenstiefeln, die, kniehoch, weitgeschnitten und, versehen mit diesem und jenem ornamentalen Schnickschnack, mit den Kniebundhosen eine passgenaue Einheit bildeten. Die neuen Beinkleider harmonierten aus damaliger Sicht in keiner Weise mit den Hessenstiefeln.
Im Jahr 1817 beauftragte Sir Arthur Wellesley (1769-1852) , erster Herzog von Wellington und hochdekorierter, erfolgreicher Militärführer u.a. im Kampf gegen Napoleon, seinen Schuster mit der Lösung der Misere: Ein anderer Stiefel musste her! Ein Stiefel, der bequem und zugleich so eng geschnitten sein sollte, dass er sich problemlos unter Hosen tragen ließ. Das Ergebnis des Londoner Schusters konnte sich sehen lassen: Hergestellt aus weichem Kalbsleder und eng am Mannesbeine anliegend, war der neue Stiefel nicht nur strapazierfähig und für militärische Kampfhandlungen durchaus geeignet, sondern auch komfortabel und schick genug für die Abend- und Ausgehgarderobe des gestandenen Herren. In Anerkennung für diesen Wurf wurden die neuen Stiefel zu Ehren des Auftraggebers fortan als Wellingtonstiefel bezeichnet.
Zurück zum Ausgangspunkt unserer kleinen Exkursion: Im Jahr 1856 erwarb Henry Lee Norris Gebäude in Edinburgh und gründete die North British Rubber Company als Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In Ermangelung fachkundiger Kräfte und Maschinen vor Ort ließ er das Benötigte aus Übersee nach Schottland bringen. Ein aufwendiges Prozedere, das letztlich aber von Erfolg gekrönt wurde. Das Unternehmen produziert nicht alleine Gummistiefel nach dem Vorbild der Wellington-Modelle, sondern zudem auch eine breite Palette anderer Gummiartikel für den englischen Markt wie Reifen, Förderbänder, Kämme, Golfbälle, Wärmflaschen und Gummibeläge.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfuhr das Unternehmen einen wirtschaftlichen Boom, wie es ihn bislang nicht gekannt hatte. Die kriegsführenden Parteien standen sich in Frankreich in einem überaus zermürbenden Stellungskrieg gegenüber. Die Soldaten litten hüben wie drüben an den Folgen regen- und grundwasserüberfluteter morastiger Gräben. Die ständig feuchten beziehungsweise nassen Schuhe zogen Krankheiten nach sich. Die Moral der Truppe litt. Die North British Rubber Company wurde daher von der Regierung beauftragt, kriegstaugliche Gummistiefel zu produzieren. Die Maschinerie lief Tag und Nacht und produzierte insgesamt 1.185.036 Stiefelpaare
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erlebte das Unternehmen abermals einen wirtschaftlichen Aufschwung; die Produktion im Jahr 1939 belief sich zu 80 Prozent auf kriegsrelevante Güter, unter anderem Rettungsringe, Abdeckungen für Bomben, Gasmasken und Gummistiefel sowie „Overknee-Stiefel“, die der britischen Armee dienlich waren, die überschwemmten Regionen der Niederlande trockenen Fußes zu passieren. (Heute werden Stiefel, die weit über die Knie reichen, vor allem zum Angeln und in der Fischerei genutzt.)
In den darauffolgenden Jahren erfreuten sich die Stiefel des Unternehmens eines hohen Bekanntheitsgrades und zunehmender Beliebtheit vor allem in der arbeitenden und jagenden Bevölkerung. 1958 landete die North British Rubber Company mit Einführung der hochpreisigen Hunter- und Royal-Hunter-Stiefel einen weiteren imagefördernden Coup. Auch später erfuhr das Unternehmen mehrfach Struktur- und Namensänderungen, heute firmiert es unter der Bezeichnung Hunter Rubber Co. Ltd. – Hoflieferant des englischen Königshauses.
Vom nützlichen Schuhwerk zum modischen Accessoire
Jäger, die nahezu das ganze Jahr über Gummistiefel tragen, stellen hohe Ansprüche an ihr Schuhwerk. Nur selten, vielleicht an heißen Sommertagen, greifen sie zu einer anderen Fußbewehrung. Die Anforderungen, die Jagdstiefel zu erfüllen haben, beschränken sich daher nicht allein auf die grüne Farbe des Materials, um des Waidmanns Tarnung in Feld, Wald und Wiese perfekt zu machen. Der Stiefel muss vor allen Dingen robust und zugleich bequem sein. Für lange Märsche sind Stiefel und Sohle zwar nicht ausgelegt und ebenso wenig dafür, im Sommer Schweiß abzuleiten oder im Winter Bodenfrost zu trotzen – in für Schuhe üblichen Wandstärken ist Gummi dazu einfach nicht geeignet. Das Stiefelinnere zu klimatisieren obliegt vor allem dem Innenfutter, das maßgeblich auch den Preis einen Stiefels beeinflusst und auf das man auch während sommerlicher Exkursionen in die Natur hin nicht verzichten sollte, raten Experten.
Qualität und Verarbeitung des Außenmaterials, sprich: des verwendeten Kunststoffs, spielen allerdings eine gewichtige Rolle: Gummistiefel ist eben nicht gleich Gummistiefel. Wirklich sehr gute, hochwertige Gummistiefel halten in der Regel das, was der Name verspricht: Sie werden aus Gummi respektive Kautschuk beziehungsweise sogar Naturkautschuk in reiner Handarbeit hergestellt. Wie bei der Fertigung von Lederstiefeln werden zugeschnittene Stücke aus Naturkautschuk um einen Leisten gearbeitet. Der Stiefelrohling wird dann in einem Latex-Tauchverfahren verstärkt und anschließend im Ganzen im Ofen vulkanisiert.
Zunehmend finden auch andere Materialien Verwendung in der Stiefelproduktion, vor allem hochwertiges, leistungsfähiges Polyurethan sowie Polyvinylchlorid (PVC). Was die vielen Exemplare unterscheidet, erschließt sich für Laien nicht auf Anhieb, zumal die Angebotsfülle nahezu unüberschaubar ist, wie der Blick auf die Homepage eines namhaften Online-Schuhversandhandels lehrt: Es gibt Gummistiefel für Damen, Herren und Kinder; für Hobby, Beruf oder Freizeit; zum Reiten, Angeln und Waten; für Sommer, Herbst und Winter – und zwar in allen nur erdenklichen Designs: in den Farben des Regenbogens, geblümt, kariert oder gestreift; mit glatter oder Profilsohle; in Glanz- oder Lederimitatausführung; mit Schnallen und anderen Applikationen in Knöchel- oder Wadenhöhe; zum Hineinschlüpfen und zum Schnüren. Eines vor allem ist mehr als offensichtlich: Das Einsatzspektrum des Gummistiefels hat sich grundlegend gewandelt und erweitert. Diente er einstmals vornehmlich funktionalen Zwecken, vor allem um Fuß und Wade französischer oder deutscher Bauersleute trocken zu halten, gilt der Gummistiefel heute als modisch schick und ist auch diesseits von Maloche oder Freizeitsport als kleidsames Schuhwerk gesellschaftlich akzeptiert. Gummistiefel liegen einfach voll im Trend!