Huhn ist nicht gleich Huhn. Es gibt weit über einhundert verschiedene Rassen. Ein Brahma-Huhn beispielsweise unterscheidet sich von einem Chabo-Huhn nicht weniger als ein Rauhhaardackel von einer Deutschen Dogge. Doch eines ist ihnen gemein: alle legen sie Eier. Bereits bei den Küken sind sämtliche Eier, die sie im Laufe ihres Lebens legen, vorrätig. Der Eierstock gleicht einer Traube: die einzelnen Beeren entsprechen den Keimzellen. Sie reifen nach und nach heran; aus der Keimblase entwickelt sich im Falle einer Befruchtung das Küken. Rundherum bildet sich gelber Dotter. Hat er seine endgültige Größe erreicht, ist das Ei “reif”: Über den schlauchförmigen, gut 50 Zentimeter langen Eileiter wandert es zum Ausgang, der Kloake, wobei es wie ein Auto am Fließband innerhalb eines Tages gefertigt wird: Zuerst legt sich schichtweise Eiweiß um das Dotter. Wie eine Knautschzone schützt er das heranwachsende Küken. Die Montage der Karosserie, der Kalkschale also, dauert etwa 20 Stunden. Was schließlich noch fehlt, ist die Lackierung: Ob braun, creme oder weiß – die Farbe der Eischale ist von Typ zu Typ, sprich: Hühnerart, verschieden. Die schwanzlosen Araucanas beispielsweise, eine Hühnerrasse aus Südamerika, mögen es bunt: sie legen Eier mit einem grüne bis türkisblauen Kalkmantel.
Hühner können gut sieben Jahre alt werden – wenn man sie lässt. Für die meisten aber endet ihr Leben lange vor Ablauf der Halbzeit. In der Regel werden Hennen nämlich nur so alt, wie sie Eier legen können: etwa drei Jahre. In dieser Zeit legen sie zwischen 150 und 200 Eiern pro Jahr. Dann aber ist ihr Vorrat an Eiern aufgebraucht, sind die Hühner dem praktisch denkenden Menschen nur noch zu einem nütze: verspeist zu werden.
Hennen in Legebatterien – sie produzieren etwa 90 Prozent aller der sich im Handel befindenden Eier – bringen es auf 100 Eier mehr pro Jahr. Neben der Züchtung, die dafür maßgeblich ist, veranlasst sie ein Trick zu mehr Leistung: Ihnen wird durch künstliches Licht ein längerer Sommer vorgegaukelt. Normalerweise legen Hühner in der Mauser, die im Herbst beginnt und etwa bis zum Frühjahr dauert, keine Eier. Der Kunstgriff mit der Glühbirne erhöht zwar die jährliche Legequote, verkürzt aber andererseits auch das bescheidene Leben der Fabrikhennen: Nach etwa 18 Monaten landen die meisten von ihnen als Suppenhuhn im Gefrierfach der Supermärkte.
Hennen sind anderen Vögeln in einigen Punkten überlegen – und uns Menschen in vielerlei Hinsicht ähnlich: Ein sieben Tage alter Hühnerembryo ist von einem dreißig Tage alten Menschenembryo kaum zu unterscheiden. Erst nach 14 Tagen ist ein Hühnerembryo eindeutig als Vogeljunges zu erkennen. Nach 21 Tagen schlüpft das Küken, und vom ersten Tag an versorgt es sich selbst, es ist ein Nestflüchter. Im Gegensatz zu sogenannten Nesthockern, die völlig nackt und hilflos von den Eltern ernährt werden müssen, bis sie flügge sind.
Sind die Küken einmal groß, geht der Kampf ums Überleben richtig los: Unter Hofhennen herrscht keine Gleichbe-rechtigung, sondern eine strenge Rangordnung. Hier entscheidet aber nicht bloß die Stärke darüber, wer auf der obersten Stange im Hühnerstall sitzen darf. Bluff ist angesagt. Selbstsicheres Auftreten und ein bisschen Lebenser-fahrung sind oft hilfreicher als reine Schnabelkraft. Ein trauriges Los hat die Henne, die in der Rangfolge ganz unten steht: Die Schwestern hacken auf ihr herum – und sie darf sich nicht einmal wehren; sie hat Glück, wenn sie zum Futter vorgelassen wird. Ein schwacher Trost bleibt ihr: In der Gunst des Hahns steht sie ganz oben. Nicht selten, dass er ihr Futter anbietet. Die ranghöchsten Hennen dagegen haben bei ihm nichts zu melden. Sie sind ihm nicht geheuer; in reiner Gesellschaft von Hennen können diese Damen im Alter sogar anfangen zu krähen. Das ist zu viel für den Hahn: Mit Konkurrenz kann der Hahn nicht umgehen. Aber typisch Mann zu sagen, wäre an dieser Stelle auch ungerecht, oder? Guido Deußing