Der Einsatz von Lösemitteln ist aus Sicht von Umweltschutz und Arbeitssicherheit stets kritisch zu beäugen. Gleiches gilt auch für ihre Nachhaltigkeit, insbesondere dann, wenn sich ein Lösemittel, vergleichbar einem Biokraftstoff, auf Basis nachwachsender Rohstoffe herstellen lässt.
Während man beherzt darüber disputieren kann, ob es Lösemittel heißt oder Lösemittel, ist eines völlig unstrittig: Die Welt, wie wir sie kennen, wäre ohne Lösemittel undenkbar. Der Anwender im Analysen-, Lebensmittel- oder Lacklabor greift auf sie zurück, ebenso die Hersteller von Chemikalien, Kosmetika, Lebensmitteln, Kunst- und Klebstoffen sowie Apotheker, Künstler, Koch und Anstreicher. Der Begriff Lösemittel meint, vereinfacht gesagt, mehr oder minder niedrig oder hoch siedende anorganische und organischen Flüssigkeiten, die in der Lage sind, Gase, Flüssigkeiten oder Feststoffe zu lösen, zu verdünnen und fein zu verteilen, ohne sie jedoch chemisch zu verändern. Wasser ist demnach das wohl wichtigste Lösemittel überhaupt. Für eine schier unbegrenzte Anzahl von Anwendungen sind daneben Lösemittel gefragt, die sich über ihren Gehalt an Kohlen- und Wasserstoffverbindungen charakterisieren lassen und die bislang vorwiegend aus den fossilen Energieträgern Erdöl und Erdgas gewonnen werden. Laut einer Studie lag die Nachfrage nach Lösemitteln im Jahr 2005 weltweit bei 17,9 Mio. Tonnen, was gemäß den Urhebern der Studie einem monetärem Wert von 8 Mrd. Euro entspricht.
Eine wichtige Grundlage zur Darstellung natürlicher Lösemittel bildet laut Expertenmeinung das Substandardglycerin (SSG), welches bei der Biodieselproduktion anfällt. Aus diesem SSG lässt sich hochreines biogenes Glycerin gewinnen, das bereits im großen Stil industriell etwa zur Herstellung von Arzneimitteln, Kosmetika, Schmierstoffen, Farben und Lacken eingesetzt wird. Biogenes Glycerin wiederum bildet die Basis für einige interessante, so gesehen natürliche Lösemittel, die über die Eigenschaften einer quasi-homologen Gruppe verfügen. Die Rede ist von:
• Isopropylidenglycerin
(4-Hydroxymethyl-2,2-dimethyl-1,3-dioxolan) CAS 100-79-8
• Glycerinformal
(4-Hydroxymethyl-1,3-dioxolan) CAS 5464-28-8
• Glycerincarbonat
(4-Hydroxymethyl-1,3-dioxolan-2-on) CAS 931-40-8
Die Homologie dieser drei Substanzen beruht auf dem zugrunde liegenden Ringsystem des 1,3-Dioxolans sowie der Hydroxymethylgruppe in vierter Position. Hierdurch sind die Verbindungen in erster Linie primäre Alkohole, gleichzeitig aber auch zyklische Ether. Entgegen einer echten chemischen homologen Reihe, die sich durch wechselnde chemische Substituenten ähnlicher Bauart – beispielsweise Alkylgruppen wachsender Größe – unterscheiden, differenzieren die Substituenten dieser Gruppe in Stellung zwei in Art und Bindung: Isopropylidenglycerin, ein zyklisches Ketal, besitzt zwei Methylgruppen; Glycerinformal präsentiert sich mit zwei Wasserstoffatomen als zyklisches Acetal, Glycerincarbonat mit seiner Sauerstoffdoppelbindung am Ring-C-Atom wiederum ist ein zyklisches Carbonat. Alle drei Stoffe zeigen, ihren Unterschieden zum Trotz, ein ähnliches Eigenschaftsprofil:
Physikalische Eigenschaften
Isopropylidenglycerin, Glycerinformal und Glycerincarbonat sind bei Raumtemperatur flüssig, ihr Erstarrungspunkt liegt weit unter dem Nullpunkt. Die drei Substanzten lassen sich der Gruppe der Hochsieder zurechnen, wenngleich die Dampfdrücke von Isopropylidenglycerin und Glycerinformal bei 20 °C gerade bei 0,1 mbar oder knapp darüber liegen können. Glycerincarbonat weist einen (berechneten) Siedepunkt von 354 °C und einen Dampfdruck bei 20 °C unter 0,01 mbar auf. Isopropylidenglycerin und Glycerinformal sind mit 11 beziehungsweise 14 cP (25 °C) eher niedrig viskose Flüssigkeiten, während Glycerincarbonat mit 85 cP bereits als mittelviskos bezeichnet werden kann. Zum Vergleich: Die Viskosität von Glycerin beträgt 945 cP (25 °C).
Verträglichkeit
Die wohl wichtigste und herausragende Eigenschaft aller drei Dioxolane ist ihre vollständige Mischbarkeit mit Wasser, wobei sich Isopropylidenglycerin geradezu als universell einsetzbare Substanz erweist: Sie zeigt mit keiner der getesteten Substanzgruppen eine grundsätzliche Unverträglichkeit.
Selbst mit apolaren Stoffen wie Aliphaten besteht teilweise Mischbarkeit in ausreichender Größe. Mit Cycloaliphaten und Aromaten ist Isopropylidenglycerin vollständig mischbar. Auch in Pflanzenölen löst es sich zu einem hohen Prozentsatz, wobei es sich in umgekehrter Richtung etwas anders verhält: Die Löslichkeit der Pflanzenöle in Isopropylidenglycerin ist geringer.
Die Polarität der drei Verbindungen steigt von Isopropylidenglycerin über Glycerinformal zu Glycerincarbonat an, was sich in einer abnehmenden Verträglichkeit mit apolaren oder schwach polaren Verbindungen äußert: Während die Mischbarkeit von Kohlenwasserstoffen (Aliphaten, Cycloaliphaten, Aromaten) auch bei Glycerinformal noch in kleinen Bereichen möglich ist, ist sie bei Glycerincarbonat praktisch gleich Null. Gleiches gilt für Pflanzenöle.
Für Ether und Chlorkohlenwasserstoffe ist die Verträglichkeit mit Glycerinformal mit geringen Einschränkungen ähnlich gut wie mit Isopropylidenglycerin, während Glycerincarbonat auch hier größere Lücken zeigt. Mit diesem diversifizierten Verträglichkeitsbild bilden die drei Lösemittel ein für die unterschiedlichsten Stoffkombinationen geeignetes Auswahlsystem.
Lösekraft für Polymere
Auf Grund der großen Diversität, welche die verschiedenen Polymere, die von fast jedem Anbieter nach eigener Rezeptur und mit dadurch ganz spezifischen Eigenschaften hergestellt werden, zeigen, lässt sich über deren Löslichkeit in den genannten Dioxolanen keine eindeutige Aussage treffen. Hierzu bedarf es entsprechender anwendungstechnischer Tests. Die hervorragende Lösekraft für die verschiedensten Makromoleküle wie Polyester, Polyacetate, Polyacrylate, Epoxide, Polyurethane, Harnstoff- und Melaminharze ist seit Jahrzehnten literaturbekannt und vor allem in umfangreicher Patentliteratur (Quelle angeben) dokumentiert. Aber auch komplexere Makromoleküle wie Polyesterimide lassen sich mit diesen Substanzen lösen. Dadurch können die in diesem Bereich bisher bevorzugt eingesetzten, nicht unbedenklichen Kresole zu einem hohen Anteil substituiert werden.
Für Art und Umfang des Einsatzes einer Chemikalie oder eines Lösemittels entscheidet nicht zuletzt ihre Unbedenklichkeit. Isopropylidenglycerin, Glycerinformal und Glycerincarbonat sind ungiftig, nicht oder kaum irritierend, von geringem, angenehmem Geruch und damit hervorragend humanverträglich. Sie sind weder gefährlich, noch unterliegen sie der Kennzeichnungspflicht: die Flammpunkte liegen nahe 100 °C beziehungsweise sogar weit darüber (Glycerincarbonat). Sie sind auch sehr gut umweltverträglich.
Historisch gesehen sind Isopropylidenglycerin über Glycerinformal zu Glycerincarbonat keine neuen Substanzen. Ihre Herstellung wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben. Auch ihre hervorragenden Eigenschaften als Lösemittel und Rohstoffe für weitere chemische Umsetzungen sind seit mehreren Jahrzehnten bekannt und wurden vielfach beschrieben. Hinderungsgrund für den Einsatz in der Breite waren allerdings die bislang geringen Produktionsmengen und die damit verbundenen hohen Anschaffungskosten für den Anwender. Das aber gehört der Vergangenheit an: Isopropylidenglycerin, Glycerinformal und Glycerincarbonat lassen sich heute in großer Menge und zu erschwinglichen Preisen produzieren und einkaufen. Neben der hohen Qualität und dem breiten Einsatzspektrum dieser Lösemittel spricht vor allem der biogene Hintergrund für ihren vermehrten Einsatz.
"Isopropylidenglycerin, Glycerinformal und Glycerincarbonat erfüllen die Anforderungen der 'Grünen Chemie', bringt es der österreichische Chemiker Dr. Michael Charwath auf den Punkt; sie seien nachhaltig in der Herstellung und unbedenklich und sicher in der Anwendung. Hinzu komme, dass die Verwendung eines Nebenproduktes eines anderen Prozesses Primärrohstoffe spare und den Einsatz nicht erneuerbarer, fossiler Energieträger reduziere. Unter Verwendung von biogenem Glycerin als Basis ihrer Herstellung seien Isopropylidenglycerin, Glycerinformal und Glycerincarbonat unschädlich für Mensch und Umwelt sowie sicherer bei Herstellung und Gebrauch.