Neben der Elektrotechnik entdeckten auch der Maschinenbau, die optische Industrie, die Möbelindustrie, der Automobil-, Flugzeug- und Meßapparatebau das Phenolharz für sich. Außerdem fanden Preßmassen mehr und mehr Verwendung, um Haushaltswaren und andere Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs bzw. deren Gehäuse herzustellen (Schrader 1962, 34). Die verblüffende Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten illustriert vielleicht am besten die alphabetische Auflistung: Aschenbecher, Billardkugeln, Bleistiftanspitzer, Bremsbeläge (Bindemittel), Bügeleisen, Diabetrachter, Drehknöpfe, Filmkameras, Fotoapparate, Füllfederhalter, Griffe für Töpfe und Pfannen, Knöpfe für Textilien, Haartrockner, Kaffeemaschinen, Küchenmaschinen, Lampenfassungen, Lautsprecher, Lenkräder, Lichtschalter, Nähmaschinen, Radios, Schallplatten, Schweißzangen, Staubsauger, Stecker und Steckdosen, Stempelkissen, Telefone, Verteilerkappen, Wäschesprenger, Zündspulen und, und, und …
Die Vielseitigkeit von Bakelit beruht auf einem Eigenschaftsprofil, das seinerzeit seinesgleichen suchte: Neben dem hohen Härtegrad, der Hitze- und der Säurebeständigkeit punktete das Phenolharz im Vergleich zu Metallen nicht zuletzt durch sein geringes Gewicht. „Bakelit ist eine Substanz, die in ihren verschiedenen Formen die Vorzüge von Hartgummi, Japanlack und Zelluloid bietet und in mancher Hinsicht die Eigenschaften dieser Produkte sogar übertrifft“, verbreitete die General Bakelite Company in einer im März 1912 erschienen Infobroschüre (zitiert nach Fiell und Fiell 2009, 14). Die Materialeigenschaften lassen sich, worauf schon Baekelands Patentschrift hinwies, durch Beimischung von Füllstoffen entscheidend verbessern, „da Phenolharz allein sehr spröde ist: Asbest verbessert die Hitzebeständigkeit, Holzmehl verhindert die Wasserabsorption, Gewebereste erhöhen die Druckfestigkeit“ (Schäfke 1987, 14). Bewährt haben sich außerdem Gesteinsmehl, Glimmer, Glasfasern und Cellulosepapiere (Domininghaus 1969, 58). „Durch diese Zusatzstoffe werden die Harze zu Formmassen. Das als Bindemittel wirkende Harz wird mit den Füllstoffen auf heißen Mischwalzen oder in kontinuierlich arbeitenden Knetern homogenisiert. Dabei schreitet der Kondensationsgrad vom Resol- zum Resitolzustand fort.“ (ebd., 58) In den ersten Jahrzehnten waren Sägespäne der Füllstoff der Wahl (Brandenburger 1938, 21-23). Das Problem: „Holzmehlhaltige Produkte sind weniger dauerhaft als solche mit Glas- oder Asbestfüllung. Auch kann es beim Einsatz organischer Füllstoffe zum Befall durch Schimmel oder Bakterien kommen.“ (Waentig und Ludwig 2012, 11)
Für Designer, damals Formgestalter genannt, stellte Bakelit eine willkommene Herausforderung dar. Sie kreierten gänzlich neuartige Formen für Gebrauchsgüter ohne historische Vorbilder. Farblich ähnelt Phenolharz dem Bernstein, es lässt sich aber durch Beimischung von Pigmenten einfärben. Ruß sorgt für schwarze Farbtöne. Es lassen sich auch „interessante Farbschattierungen erzielen“ (Schäfke 1987, 15), indem hoher Pressdruck die Farbstoffe in der Formpresse verteilt. Nicht zuletzt durch ihren Oberflächenglanz schmeicheln Objekte aus Bakelit dem Auge.
Zum bekanntesten und mit Abstand verbreitetsten Phenolharzprodukt wurde der im August 1933 auf der Berliner Funkausstellung vorgestellte, von den nationalsozialistischen Machthabern in zweistelliger Millionenzahl in Auftrag gegebene „Volksempfänger “ (VE 301), ein preiswertes Radio mit Bakelitgehäuse. Dieses bestand aus holzmehlgefüllter Phenolharz-Schnellpressmasse auf Basis von Novolaken mit Hexamethylentetramin-Härter, hergestellt vorwiegend von der Bakelite Erkner und im Presswerk Essen der mit Rütgers konkurrierenden Gesellschaft für Teerverwertung mbH Duisburg-Meiderich (Collin 2003, 158 und Collin 2007, 17).
Mittlerweile hatte nämlich der Wettbewerb eingesetzt, denn Baekelands Patente waren am 31. Januar 1930 abgelaufen; die Monopolstellung der Bakelite GmbH hatte seither ein Ende (Retzlaff 2010, 32). Allein in Deutschland stellten nun über 30 weitere Fabriken Phenolharzmassen her (Raubach 1960, 40). Als Warenzeichen genoss Bakelit hingegen nach wie vor Schutz, denn dieser ließ sich gegen Gebühr alle zehn Jahre verlängern (ebd., 40). Vor 1930 hatte Baekeland sich wiederholt Patentverletzungen ausgesetzt gesehen und war juristisch dagegen vorgegangen:
„Die zahlreichen Gerichtsprozesse gegen die Plagiatoren gewann meist Baekeland. Fast alle Konkurrenten arbeiteten schließlich mit Baekeland zusammen, und die meisten zählten bald zu seinen besten Freunden. Die Condensite Company of America mit einer Produktion in Bloomfield, N. J., und die Redmanol Chemical Products Corporation mit einem Werk in Chicago fusionierte Baekeland 1922 mit seinem eigenen Unternehmen zu einer Holding ‚Bakelite Corporation‘.“ (Collin 2007, 14)
Zu einem Vergleich war es übrigens 1919 mit der in Spremberg/Niederlausitz ansässigen Hermann Römmler AG gekommen, die mit einem unabhängig von Baekeland entwickelten Hitze-Druck-Härtungsverfahren Phenolharze herstellte und diese unter dem Namen „Hares“ vermarktete (siehe Raubach 1960, 40 und Braun 2013, 214).
Deutschland blieb weiterhin führend bei der Bakelitproduktion. Seinen Anteil an der Weltproduktion der Phenoplaste betrug Mitte der 1930er-Jahre um die 30 Prozent (Brandenburger 1938, 21): „Es besitzt acht große Fabriken, welche jährlich rund 30.000.000 kg Preßpulver herstellen, das in etwa 1.500 Betrieben zu Formteilen verarbeitet wird.“ (ebd., 21) Leo Hendrik Baekeland gehörte damit „zu den ganz Wenigen, denen [...] das Schicksal vergönnt hat, die Früchte ihrer Arbeit zu ernten“ (ebd., 19) – im Unterschied etwa zu dem PVC-Pionier Fritz Klatte (siehe Thema des Monats Jan./Febr. 2018: „Ein Mann lebte 20 Jahre zu früh“). Ein Urteil, das sich nicht auf den wirtschaftlichen Erfolg reduzieren lässt: Baekeland stand bedeutenden chemischen Gesellschaften als Präsident vor, viele wissenschaftliche Vereinigungen in Europa ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitglied (Übersicht bei Collin 2007, 15). 1939, mit 76 Jahren, verkaufte der „Vater des Bakelit“ die General Bakelite Company an die Union Carbide and Carbon Corporation und setzte sich zur Ruhe (ebd., 14). Am 23. Februar 1944 starb er in einem Sanatorium in Beacon/New York an den Folgen eines Schlaganfalls. Baekelands Grab befindet sich auf dem Friedhof in Sleepy Hollow/New York. „Er hinterließ seinen Nachkommen ein reiches Erbe, seine innovativen Fähigkeiten sollten sich allerdings bei diesen nicht wiederfinden.“ (Schmutzler 1993, 25).
Im Sterbejahr Baekelands – und übrigens auch Max Wegers – lag die Phenolharz-Weltproduktion bei 175.000 Tonnen, wozu die deutsche Bakelite Gesellschaft in Erkner mit 13.000 Tonnen rund acht Prozent beisteuerte. Insgesamt wurden in Deutschland 1944 rund 250.000 Tonnen Kunststoffe hergestellt (Collin 2007, 17), davon hauptsächlich duroplastische Phenolharz- und Harnstoffharz-Pressmassen, also Phenoplaste und Aminoplaste. Für Letztere stand vor allem die Spremberger Hermann Römmler AG, die sie unter dem Markennamen Alboresin, später Resopal und Sprelacart, vermarktete. Deutschland war damit im vorletzten Kriegsjahr zweitgrößter Kunststofferzeuger der Welt, gleich nach den Vereinigten Staaten.
Am 8. März 1944, nur gut zwei Wochen nach Baekelands Tod, zerstörten Luftangriffe der Alliierten Teile des Bakelitwerks und der Teerraffinerie Erkner. Damit die kriegswichtige Phenolharzproduktion nicht einbrach, wurde ein Teil der Produktionsanlagen samt Fachpersonal in die Rütgerswerke München-Pasing und Dohna bei Dresden verlagert (Collin 2007, 18). Am 21. April 1945 marschierte die Rote Armee in Erkner ein und die Produktion wurde gestoppt. Die verbliebenen Anlagen wurden teilweise demontiert.