Probleme machen vor allem Objekte aus Celluloid, beklagen z. B. die Konservatoren des Plastikmuseums „Plart“ in Neapel. Aber auch Sitzgruppen aus geschäumtem Polyurethan können mit der Zeit buchstäblich abbauen. Zum Glück ist all das weitgehend Schnee von gestern: Kunststoffdesigner brauchen sich heute keine Sorgen mehr um die Haltbarkeit ihres Materials zu machen. Stabilisatoren und Additive haben es um vieles langlebiger, witterungsbeständiger und kratzfester gemacht. Und auch in ästhetischer Hinsicht hat es Fortschritte gegeben: Polypropylen beispielsweise war früher eine milchige Substanz; inzwischen hat die Polymerforschung es geschafft, transluzentes, fast wie Glas anmutendes Polypropylen herzustellen, das zu Objekten mit körniger, leicht aufgerauter Oberfläche verarbeitet wird. Stilprägend waren hier ab Mitte der 90er-Jahre die Badezimmer- und Küchenaccessoires der deutschen Firma „Authentics“, gegründet von Hansjerg Maier-Aichen, Professor für Produktdesign an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe. Als Gestalter gewonnen wurde Konstantic Grcic (geb. 1965) aus München, der Superstar der deutschen Designszene. Um die charakteristische Oberflächenstruktur erzielen zu können, wurde die metallene Gussform, das sogenannte Werkzeug, in einem Ätzbad erodiert. Grcic: „Die Methode erzeugt mit der neuen Optik auch eine neue Haptik, der Gegenstand wirkt wärmer, zugleich wertiger.“ Das sogenannte Autorendesign hat im Kunststoffbereich Tradition und versammelt neben Grcic, den die Zeitschrift „art“ zum „größten lebenden Designer“ ausrief, so illustre Namen wie Eero Aarnio (geb. 1932) aus Finnland mit seinem „Bubble Chair“, Luigi (Lutz) Colani (geb. 1928) aus Deutschland mit seinem „Sitzgerät Zocker“ (1971), Vico Magistretti (1920-2006) aus Italien mit seiner Stehleuchte „Mezzachimera“ (1969), Jasper Morrison (geb. 1959) aus England mit seinem „Basel Chair“ (2008), Ettore Sottsass (1917-2007), Italo-Österreicher, mit seiner tragbaren Schreibmaschine „Valentine“ (1968), Philippe Starck (geb. 1949) aus Frankreich mit seinem „Mr. Impossible Chair“ (2007) und Wilhelm Wagenfeld (1900-1990) aus Deutschland mit Bordgeschirr für die Lufthansa (1955).
Kunststoffe lassen sich heute vielfältiger einsetzen denn je. Kein Wunder, dass Designer ihnen treu bleiben und immer wieder neue Seiten an ihnen entdecken. Die unbegrenzten Möglichkeiten haben jedoch auch eine Kehrseite: Sie erschweren es, sich festzulegen. „Man kann alles machen mit dem Material – und das ist genau das Problem für Designer, jedenfalls für mich“, bekannte Konstantin Gric 1998 im Interview. Neun Jahre später, auf der „K 2007“ in Düsseldorf, hatte Grcics Stuhl „Myto“ Premiere. Ein Monoblock-Freischwinger aus Polybutylenterephthalat („Ultradur High Speed“), entwickelt von BASF; für Fertigung und Vertrieb des Stuhles ist der italienische Möbelhersteller Plank zuständig. Den Spielraum des gestalterischen Entwurfs hatten diesmal die Eigenschaften des Materials abgesteckt. Das Design stellte sich sozusagen sich in den Dienst des neuen Kunststoffs Ultradur, um dessen exzellente Fließeigenschaften auszureizen und an einem komplexen, bis ins Kleinste durchgestylten Objekt vorzuführen. Dies rechtfertigte letztlich auch, Myto zuerst auf der Düsseldorfer Kunststoffmesse zu präsentieren, nicht, wie es nahe gelegen hätte, auf der Internationalen Möbelmesse in Mailand, wo Myto im Jahr darauf im Mittelpunkt stand. Im Prä des Materials, dessen Eigenschaften das Gestaltungsprinzip bestimmen, erkennt Andrej Kupetz eine neue Tendenz, die für das Kunststoffdesign des 21. Jahrhunderts richtungsweisend sein könnte. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass Designer sich dieser Tendenz dauerhaft unterordnen – als „Handlanger der Industrie“ abgestempelt, dürften sie Probleme mit ihrem eigenen Selbstverständnis bekommen. Seit 2006 können Industriedesigner sich übrigens in der „designfabrik“ der BASF in Ludwigshafen in Sachen Kunststoff beraten lassen, doch niemand erwartet oder verlangt gar, dass Produktgestalter zu Experten für Polymere mutieren. „Selbstverständlich müssen wir über das Material Bescheid wissen, aber wir müssen keine Spezialisten sein“, sagt auch Grcic. „In der Naivität liegt unsere Chance, weil der unvoreingenommene Geist das Material ganz anders ausloten kann. Philippe Starck war bei seinen ersten Entwürfen für Kartell vollkommen unerfahren im Umgang mit Kunststoff. Er konnte frisch hinschauen und ganz neue Erfindungen machen. So wurde aus einer Trennnaht, einer technischen Notwendigkeit, ein Ornament, ein Erkennungsmerkmal.“