Wenn man die Namen bedeutender Wissenschaftler der Polymerchemie aufzusagen hätte, er wäre dabei: Wallace Hume Carothers, den Entdecker des Neoprens und Erfinder des Nylons. Von sich selbst hatte Wallace Hume Carothers allerdings ein ganz anderes Bild ...
Wallace Hume Carothers wurde am 27. April 1896 in Burlington im US-Bundesstatt Iowa als ältestes von vier Kindern geboren. Nach seiner Schulzeit erlernt er den Beruf des Buchhalters, studierte dann aber ab 1915 Naturwissenschaften und spezielle Chemie. Bereits als Student stach Carothers aus der Masse der Kommilitonen hervor, und übernahm, noch bevor er seinen Bachelor in der Tasche, die Kurse seines Professors, der als Soldat in den Ersten Weltkrieg zog. 1920 machte Carother seinen Bachelor, 1921 erwarb er seinen Master-Abschluss an der University of Illinois. Ein kurzes Gastspiel als Dozent an der University of South Dakota folgte, bevor wieder zurück an die Uni nach Illinois wechselte, wo 1924 promoviert. 1926 wurde Carothers Dozent an der Harvard University, die er allerdings bereits drei Jahre später wieder verließ, um für die Firma DuPont als Forschungsleiter im Bereich der Entwicklung künstlicher Materialien und Kunststoffe zu arbeiten. Für das Unternehmen machte Carothers einige bis heute bahnbrechende Entwicklungen, unter anderem entdeckten er und sein Team 1930 mit Neopren den ersten synthetischen Kautschuk. Fünf Jahre später folgte die nächste Polymersensation, als Carothers mit Polyesterfasern und Polyamid experimentierte und das Nylon erfand – den Stoff, aus dem lange Zeit Frauenträume gesponnen waren.
Weder hat Wallace Hume Carothers erfahren, welchen Namen seine Faser bekam, noch hat er ihren Siegeszug miterlebt. Der chronisch depressive Wissenschaftler nahm sich am 29. April 1937, zwei Tage nach seinem 41. Geburtstag, in einem Hotelzimmer in Philadelphia das Leben. Der geniale Kopf hatte schon während seines Einstellungsgesprächs bei DuPont vor „einer immer wiederkehrenden neurotischen Beeinträchtigung meiner Leistungsfähigkeit“ gewarnt. Seinem Mitarbeiter Julian Hill hatte er Jahre vor seinem Selbstmord eine Kapsel mit Zyankali gezeigt, die er an der Uhrkette befestigt mit sich herumtrug. Carothers’ melancholisch-morbide Ausstrahlung konnte niemandem verborgen bleiben, doch an Selbstmordneigungen wollte niemand ernstlich glauben, schließlich befand er sich auf der Höhe seines Schaffens und seines persönlichen Ruhms. Am 30. April 1936, fast auf den Tag genau ein Jahr vor seinem Freitod, war Carothers in die angesehene Nationale Akademie der Wissenschaften berufen worden; keinem für die Industrie forschenden Wissenschaftler war diese Ehre jemals vorher zuteilgeworden.
Sich im Erfolg zu sonnen entsprach jedoch nicht Carothers’ Naturell, zumal er im Zenit schon die Dämmerung anbrechen sah: Synthetischer Kautschuk und Kunstseide seien genug für ein Menschenleben, soll er einem Freund anvertraut haben. Kolportiert wird auch, ihn habe die Furcht geplagt, niemals wieder einen guten Einfall zu haben.
Guido Deussing