ber 300 Expertinnen und Experten zum Thema Stadtlogistik haben sich in einer deutschlandweiten Befragung dafür ausgesprochen, zur Verringerung von Lieferverkehrsströmen in Städten neue Wege zu gehen. Beispielsweise sollen anbieteroffene Mikrodepots und Lastenräder die Zustellfahrten konkurrierender Anbieter auf der „letzten Meile“ ersetzen. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie „Logistik und Mobilität in der Stadt von morgen“, welche im Rahmen des BMBF-finanzierten Forschungsprojekts „Stadtquartier 4.0“ erstellt und jetzt am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner veröffentlicht wurde.
In den Städten nimmt die Verkehrsdichte zu, verursacht auch vom wachsenden Onlinehandel und dem zugehörigen Zustellverkehr. Konflikte um Verkehrsraum häufen sich, eine nachhaltige Ausgestaltung des Stadtverkehrs gelingt aktuell nicht. Gerade die Corona-Krise verschaffte dem Onlinehandel nun einen weiteren Schub. Praktikable Lösungen für eine nachhaltige Stadtlogistik zu entwickeln war das Ziel des Projekts „Stadtquartier 4.0“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von Anfang 2017 bis Anfang 2020 finanziert wurde. Das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner kooperierte darin mit der LogisticNetwork Consultants GmbH (LNC), dem Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) und der Holzmarkt Quartier Versorgungsgesellschaft mbH (HMQV).
Drei Ansätze zur Verringerung von Lieferverkehren standen im Zentrum der Untersuchung:
- die Nutzung von anbieteroffenen Mikrodepots und Paketstationen,
- das Teilen („Sharing“) u.a. von Verkehrsmitteln, und
- die Produktion von Konsumgütern direkt in der Stadt oder im Quartier („urbane Produktion“).
Alle drei Komponenten wurden in einem gemeinsamen Pilotprojekt in enger Kooperation mit den Verantwortlichen des Holzmarkt-Areals, eines alternativen Wohn- und Gewerbeprojekts in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, praktisch erprobt. Das IRS war im Projektverbund für die sozialwissenschaftliche Begleitforschung verantwortlich. Diese schloss Befragungen von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Stadtlogistik, Stadtentwicklung und Verkehr ein. Letztere wurde als Delphi-Befragung realisiert, in der die Fachleute in zwei Befragungswellen die Realisierungschancen für die neuartigen Ansätze und ihre Wirkung auf eine nachhaltige Stadtentwicklung einschätzen sollten.
Ein Großteil der Befragten sprach sich für einen radikalen Wandel in der Stadtlogistik aus. Sie zeigten sich skeptisch gegenüber rein technologieorientierten (z.B. Drohnen, unterirdische Zustellwege) oder marktgläubigen Ansätzen. Stattdessen plädierten sie für ein starkes Engagement der Kommunen, für regulatorische Eingriffe, für Kooperationen zwischen Staat und Wirtschaft, für eine intensive Beteiligung von Quartiersbewohnerinnen und -bewohnern, sowie für veränderte Konsumgewohnheiten.