Gerade in den Sommerferien geht es für Millionen von Urlaubern wieder an die schönsten Strände. Bei genauerem Hinschauen lässt sich Mikroplastik zwischen Sand und Muscheln entdecken. Doch woher stammen die kleinen Kunststoffpartikel? Welche Mengen werden jährlich in Deutschland emittiert? Diese Fragen standen u. a. im Fokus der "Konsortialstudie Mikroplastik". Im Auftrag von Partnern aus der Kunststoffindustrie, Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Forschung hat Fraunhofer UMSICHT die letzten zwei Jahre den Wissensstand zu Mikro- und Makroplastik zusammengetragen. Eine Kurzfassung der Studie mit Fazits und Empfehlungen ist ab sofort kostenfrei erhältlich.
Mikroplastik ist nicht immer direkt zu erkennen, man muss den Blick schon etwas schärfen. Doch dann kommen sie nahezu überall zum Vorschein: Kunststoffpartikel, kleiner als 5 mm. So zumindest die weit verbreitete Definition. Allgemeingültig ist sie jedoch nicht zwangsläufig: "Es ist schwierig, den regulatorischen, wissenschaftlichen und kommunikativen Ansprüchen gemeinsam gerecht zu werden. Durch die Abgrenzung der Größe und Einschränkung auf spezielle Kunststoffe oder Einsatzgebiete wird eine Grenze gezogen, die unter Umständen Problembereiche ungerechtfertigt ein- oder ausschließt. Eine Definition sollte vielmehr anhand der Umweltwirkung festgemacht werden. Doch dazu reicht der heutige Wissensstand nicht aus", erklärt Jürgen Bertling aus der Abteilung Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement beim Fraunhofer UMSICHT, Initiator und Haupt-Autor der "Konsortialstudie Mikroplastik".
Kategorisierung von Mikroplastik
Im Rahmen der Studie erfolgte zunächst eine neue Kategorisierung von Mikroplastik: Primäres Mikroplastik Typ-A sind industriell hergestellte Kunststoffpartikel, deren Verlust bewusst in Kauf genommen oder durch Unachtsamkeit verursacht wird. Hierzu zählen z. B. Microbeads in Kosmetika oder Kunststoffpellets. Dagegen entsteht primäres Mikroplastik Typ-B erst in der Nutzungsphase durch Abrieb oder Verwitterung. Das ist etwa bei Autoreifen, Schuhsohlen, Textilien oder Farben der Fall. Gelangen Kunststoffabfälle, hauptsächlich Verpackungen, Plastiktüten oder Flaschen – sogenanntes Makroplastik –, in die Umwelt und fragmentieren dort, werden sie dem sekundären Mikroplastik zugeordnet. Diese Einteilung ist insbesondere bei der Zuweisung von Verantwortung wichtig. Je nach Quelle liegt sie mehr beim Produzenten oder beim Konsumenten.
Kunststoffemissionen bestehen in Deutschland zu 74 Prozent aus Mikroplastik
Die Autoren der Konsortialstudie ermittelten insgesamt 51 Mikroplastikquellen und berechneten die Emissionen. Reifenabrieb, Freisetzung bei der Abfallentsorgung, Abrieb von Bitumen in Asphalt, Pelletverluste, Verwehungen von Sport- und Spielplätzen liegen ganz vorne. Die Freisetzung von Mikroplastik aus Kosmetik etwa gelangt auf Platz 17. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Reduzierung von Emissionen aus jeder Quelle wichtig ist. Weitere Faktoren wie Abbaubarkeit oder Kunststoffadditive spielen bei der Wirkung auf die Umwelt ebenfalls eine große Rolle und sollten daher bei der Priorisierung der Quellen berücksichtigt werden. Geht man davon aus, dass es noch weitere Quellen gibt, so ergibt sich für Deutschland eine Gesamtmenge von gut 4 kg pro Kopf[1], die jährlich an Mikroplastik in die Umwelt freigesetzt wird. Dagegen betragen die Emissionen an Makroplastik nur etwa 1,4 kg pro Kopf und Jahr[1]. Das, was wir an Plastikmüll an Raststätten, in Parks und am Strand finden, ist also der sichtbare, aber weitaus kleinere Teil von Kunststoffen in der Umwelt.
Auf Kosten des Klärschlamms
Die Siedlungswasserwirtschaft spielt bei der Emission von Kunststoffen in die Umwelt eine wichtige Rolle, sowohl als Eintragspfad als auch für den Rückhalt. Etwa 78 Prozent des Abwassers werden innerhalb der Siedlungswasserwirtschaft durch Kläranlagen gereinigt. Die restlichen 22 Prozent, überwiegend Niederschlagswasser, werden nur teilweise gereinigt, sodass mit den Niederschlägen Makro- und Mikroplastik in die Ökosysteme gespült werden. Kläranlagen halten je nach technischer Ausstattung über 95 Prozent des zuströmenden Mikroplastiks zurück. "Der hohe Rückhalt der Kläranlagen geht jedoch auf Kosten des Klärschlamms, in dem sich die kleinteiligen Kunststoffe anreichern. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine vollständige Verbrennung des Klärschlamms der landwirtschaftlichen und landschaftsbaulichen Nutzung vorzuziehen ist, um eine Weiterverbreitung von Mikroplastik in der Umwelt und somit eine Problemverlagerung zu verhindern", sagt Ralf Bertling, Abteilung Photonik und Umwelt beim Fraunhofer UMSICHT, der sich im Rahmen der Studie der Siedlungswasserwirtschaft gewidmet hat. Der Co-Autor weiter: "Auch ist die Siedlungswasserwirtschaft ‚mehr als Kläranlagen‘. Dem Typus des Entwässerungssystems – Trenn- oder Mischsystem – und ebenso der Niederschlagsentwässerung inner- und noch mehr außerorts sollte viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Durch Regen und andere Wettereignisse werden z. B. Reifenabrieb oder Kunststoffabfälle nicht nur in die Kanalisation, sondern nahezu überall hin gespült." Vor allem außerorts werde nicht jeder Liter Regen behandelt, sondern fließe besonders bei Starkregen häufig ungereinigt, direkt oder indirekt, dem nächsten Gewässer zu.
Kunststoffen einen Wert geben
Die Ergebnisse der Studie wurden bereits am 21. Juli 2018 in Berlin vorgestellt und im Anschluss mit Konsortialpartnern, Experten und Zuschauern diskutiert. Wichtig war es den Autoren, auch Lösungswege aufzuzeigen, Fazits zu ziehen und Empfehlungen zu geben. "Kunststoffen einen Wert geben" war einer der am häufigsten betonten Aspekte auf der Veranstaltung.
"Wir können davon ausgehen, dass sich Mikroplastik bereits in allen Bereichen der Umwelt befindet. Das ergibt sich schlichtweg daraus, dass wir überall Kunststoffe einsetzen und die Emissionen über Wind und Wasser verbreitet werden. Es ist also kein Wunder, wenn wir Mikroplastik in der Luft, im Trinkwasser oder in Nahrungsmitteln finden", sagt Leandra Hamann, Abteilung Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement beim Fraunhofer UMSICHT und ebenfalls Co-Autorin der Studie. Auch wenn sich bisher noch kein konkretes Gefahrenpotential zeigt, so sind sich die Beteiligten einig, dass die Kunststoffe in der Umwelt reduziert werden müssen.
Neben dem Ausbau der Kreislaufwirtschaft, Verboten von bestimmten Produkten, der Entwicklung neuer Filtersysteme und der Anpassung der Siedlungswasserwirtschaft kann auch jeder selbst etwas tun: "Wenn man eh unterwegs ist, einfach mal herumliegenden Müll aufheben und in den nächsten Mülleimer entsorgen Das geht besonders gut im Urlaub, wo in der Regel mehr Zeit vorhanden und der Blick für die Umgebung intensiver ist. Aber auch im Alltag ist das bereits selbstverständlich für mich." Neben der Entfernung des Mülls geht es Hamann besonders darum, auf das Problem aufmerksam zu machen und andere dazu anzuregen, ebenfalls tätig zu werden.