Geringes Gewicht und überaus stabil – Gradmesser von Materialien, die gegenwärtig und absehbar genutzt werden, um Massen auf effiziente, umwelt- und kostenverträgliche Weise zu beschleunigen oder abzubremsen. Das Schwergewicht, die Stahlkarosse, gilt inzwischen als Relikt der Vergangenheit. Die Zukunft gehört Automobilen aus Verbundwerkstoffen bestehend aus Fasern und Kunststoff (FVK). Schenkt man Experten glauben, beflügeln FVK nicht nur den Fahr- oder Flugzeugbau, sondern viele Anwendungsbereiche, etwa den der regenerativen Energiegewinnung oder den Maschinenbau. K-online.de wirft einen Blick auf das Potenzial und die Einsatzgebiete von Faserkunststoffverbunden, allen voran die leichten, crashsicheren und rostfreien Carbon- beziehungsweise Kohlenstofffaser verstärkten Kunststoffe (CFK).
Die EU fordert eine drastische Reduktion von Autoabgasen. Das aber geht langfristig nur mittels Gewichtsreduktion.
Die Europäische Union (EU) macht Druck und drängt die Autoindustrie zum Abspecken. Vergangenen Monat beschloss der EU-Umweltausschuss, die Abgasgrenzwerte für Autos ab dem Jahr 2025 auf 78 Gramm Kohlendioxid (CO2) je gefahrenen Kilometer zu beschränken. [1] Gleichzeitig hält das EU-Parlament an seinem Ziel fest, den CO2-Ausstoß von Pkw bis 2020 auf 95 und schon 2015 auf 130 Gramm zu reduzieren. [2] Stellt sich die Frage, wie sich dieses Ziel erreichen lässt.
Vor allem, weil Autos aufgrund höherer Pferdestärken (PS) sowie gewünschten und geforderten umfangreichen Sicherheits- und Komfortausstattung nicht leichter, sondern eher immer schwerer werden. Zum Vergleich: 1975 wog ein VW Golf I etwa 780 Kilogramm, heute bringt ein Klein- und Mittelklassewagen in der Regel rund 1,2 Tonnen auf die Waage. [3]
Was den Geldbeutel belastet und auch dem Klima abträglich ist, da bekanntlich mehr Gewicht auch eine erhöhte Emission klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) nach sich zieht. Die Situation erweist sich als Dilemma, nicht aber als unlösbares Hexenwerk.
Der Clou liegt in der intelligenten Substitution schwerer Materialien wie Stahl und Aluminium durch sehr viel leichtere Kunststoffe.
Leichtbau als Lösung
Der Clou liegt in der Substitution üblicherweise im Fahrzeugbau eingesetzter schwerer Materialien wie Stahl und Aluminium durch leichtere, aber nicht minder leistungsfähige Chemiewerkstoffe beziehungsweise Polymermaterialien, allen voran sogenannte Composites, wie Faser- verbundkunststoffe (FVK) neudeutsch auch genannt werden. Wie wichtig der „Leichtbau“ mit FVK für das Transport- wesen ist, zeigt folgendes Beispiel:
„100 Kilogramm weniger Gewicht am Auto reduziert den (Treibstoff)verbrauch um 0,1 bis 0,8 Liter auf 100 Kilometer, je nach Fahrweise. 30 Prozent dieser Einsparung lassen sich durch Leichtbau erreichen, damit leistet er den größten Beitrag zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der Kohlendioxidemission. Verbesserungen an den Motoren eröffnen hingegen nur eine Einsparung von 15 Prozent.“ [4]
Schon früh auf den Trichter gekommen
Der Trend, Metalle durch geringer gewichtige Polymermaterialien auszutauschen, ist nicht neu in der Automobiltechnik. Ebenso lang ist die Liste der Fahrzeugteile, die seit geraumer Zeit aus unterschiedlichen Kunststoffen gefertigt werden. Hierauf finden sich rund 2000 verschiedene Positionen unter anderem: Stoßfänger, Frontend, Kühlergrill, Spiegel, Schiebedach, Karosserieteile, Ölwanne, Kraftstofftank, Radkappen, Scheinwerfer, Scheibenwischer, Verglasung, Zierelemente, Dämpfungsteile, Dichtungen, Sonnendächer, Armaturentafel, Autositze, Lenkrad, Kopfstützen, Gas-, Brems- und Kupplungspedal, Schaltknauf, Türseitenverkleidung, Hutablage, Teppiche, Dachhimmel, Airbag, Seitenaufprallschutz, Ansaugrohr, Schlauchsysteme und vieles mehr.
Unabhängig davon, dass Kunststoffe bei gleicher Dimensionierung weniger wiegen als Metalle: Sie rosten nicht, müssen folglich beziehungsweise abhängig von der Anwendung nicht oberflächenbehandelt und lackiert werden. Weiteres Plus: Polymere respektive synthetische Materialien tragen zur Sicherheit der Fahrzeuginsassen bei (Airbag, Sitzgurte etc.), besitzen eine unvergleichliche Haptik und eröffnen den Autodesignern ein weites Feld an Gestaltungsmöglichkeiten.
Am Leichtbau führt kein Weg vorbei
Allerdings habe der Automobilbau in den letzten Jahren einen richtigen Trend zum Leichtbau unter Einsatz von FVK nicht erkennen lassen, wenngleich sich die Ökoeffizienz von Autos verbessert haben mag: Die Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs wurde vor allem durch eine bessere Antriebstechnik und Aerodynamik erreicht, bemerkt Prof. Peter Middendorf auf dem 23. Stuttgarter Kunststoff-Kolloquium im März dieses Jahres [5]. Motorleistung und Karosserieform haben aber ihre Grenzen. Langfristig gesehen braucht es Konzepte, die tiefer greifen.
Wesentlich für die über die Zeit gesehene stete Zunahme des Fahrzeuggewichts seien „die gestiegenen Anforderungen in Bezug auf Komfort, Sicherheit, Zuverlässigkeit und vieler heute zum Serienstandard gehörenden Zusatzfunktionen“, diagnostiziert der Wissenschaftler vom Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart. Ein Trend, der sich auch in Zukunft fortsetzen werde, etwa „wenn im Zuge der Elektromobilität signifikante Zusatzgewichte durch Elektromotor und vor allem Batterie-Packs hinzukommen. Damit würde () auch die Reichweite der Fahrzeuge sinken und gegebenenfalls unattraktiv werden ()“. Dem entgegensteuern könne die Automobilindustrie nur, wenn es ihr gelinge, Zusatzgewicht durch Leichtbau, das heißt () Faserverbund-Leichtbau, zu kompensieren.
Der Airbus A380 etwa besteht zu 25 Prozent aus mit Carbon- beziehungsweise Kohlenstofffasern verstärktem Kunststoff (CFK).
Vorreiter Flugzeugbau
Wie das funktioniert, zeige der Flugzeugbau, der als wohl wichtigster Trendsetter beim Einsatz von Faserverbundkunststoffen (FVK) gelten kann, sagt Middendorf. Seit Jahren schon werden hier faserverstärke Kunststoffverbundmaterialien eingesetzt. Moderne Flugzeugkonzepte setzten auf eine intelligente Mischbauweise. Der Airbus A380 etwa besteht zu 25 Prozent aus mit Carbon- beziehungsweise Kohlenstofffasern verstärktem Kunststoff (CFK) . Ergebnis: 15 Prozent weniger Kerosinverbrauch. Flugzeughersteller Boeing geht noch einen Schritt weiter: Der Kunststoffanteil des Boeing 787 Dreamliners liegt bereits bei 50 Prozent, insbesondere durch CFK-Tragflächen und Rumpfstrukturen, was zu deutlich niedrigeren Emissionen klimaschädlicher Gase während des Betriebs führt. [6]
Damit allerdings sei absehbar das Maximum an Möglichkeiten erreicht, meint Middendorf. Als Grund nennt der Wissenschaftler den hohen Carbonpreis; zudem sei die Herstellung von FKV-Bauteilen überaus aufwendig und kostenintensiv, was sich mit dem bislang üblichen enormen manuellen Arbeitsaufwand erklären lasse, der den Herstellungsprozess präge; die bestehenden Qualitätsansprüche an die Verbundwerkstoffe sowie die Forderung minimaler Toleranzen täten ihr Übriges.
Dessen ungeachtet amortisierten sich die vergleichsweise hohen Material- und Herstellungskosten, sagt Middendorf. Ein Airbus A320 mit einem maximalen Startgewicht (engl. maximum take off weight, MTOW) von rund 73 Tonnen verbrauche allein bei einer Gewichtsreduktion von nur 10 Kilogramm rund 2000 Liter Kerosin pro Jahr weniger, rechnet der Wissenschaftler vor. Das reduziere die Belastung der Umwelt und schone den Geldbeutel beziehungsweise eröffnet dem Hersteller attraktive Alternativen, etwa indem er das Leichtbaupotenzial für eine größere Reichweite seiner Flugzeuge, mehr Nutzlast oder einen höheren Passagierkomfort nutze.
„Bei stetig wachsenden Auslieferungszahlen aber“, bringt es Middendorf auf den Punkt, „müssten allerdings im Wettstreit mit anderen Leichtbauwerkstoffen weiter automatisierte und damit kostengünstigere Fertigungsverfahren entwickelt werden.“ Eine Sorge, mit der auch die Automobilindustrie und ihre Zulieferer zu kämpfen haben.
Kohlenstofffaserverstärke Kunststoffe verfügen über ein riesengroßes werkstoffliches Leichtbaupotenzial.
Herausforderung Fertigungstechnik
Automobilhersteller setzten vor allem im höherpreislichen Premiumsegment auf unterschiedliche Ausprägungen an Leichtbau, von Hybridwerkstoffen über Hybridstrukturen bis hin zu ganzen CFK-Karosserien. Um jedoch CFK-Bauteile in Großserie einsetzen und damit das ganze Potenzial des Verbundwerkstoffs auch unter anwendungsspezifischen ökonomischen Aspekten zu nutzen, gelte es, Taktzeiten und Bauteilkosten zu senken, zeigt sich Middendorf überzeugt.
Das heißt, damit der Werkstoff in der Massenproduktion eingesetzt werden kann, muss zunächst der Preis runter. „Die kohlenstofffaserverstärken Kunststoffe verfügen über ein riesengroßes werkstoffliches Leichtbaupotenzial“, sagt Prof. Holger Hanselka, Vorsitzender des Fraunhofer-Verbunds Werkstoffe, Bauteile – Materials. Hanselka schlägt damit in dieselbe Kerbe wie Middendorf. Bei gleicher Festigkeit wögen CFK-Werkstoffe nur etwa halb so viel wie Stahl; CFK seien darüber hinaus auch noch crashsicher und rostfrei. Allerdings kosteten CFK-Bauteile das Sechsfache gleicher Bauteile aus Stahl – eben auch weil CFK-Komponenten meist von Hand gefertigt würden. Zudem stehe der Serienproduktion großer Stückzahlen die lange Produktionszeit entgegen: die Polymerisation unter Einsatz von Epoxidharz als Fasermatrix dauert viele Stunden. Eine andere, bislang auch noch nicht hinreichend beantwortete Frage ist die nach der Wiederverwertung des Verbundwerkstoffs. Allerdings nähert man sich auf breiter Front im Bereich von Wissenschaft und Anwendung interessanter Lösungsansätze.
Ansätze einer Automatisierungslösung
Für die Automobilindustrie hat das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Augsburg ein neuartiges Fertigungsverfahren entwickelt, das die Herstellung von CFK-Bauteilen vollständig automatisiert erlaubt. Das neue Verfahren kombiniert eine Flechtmaschine, wie sie üblicherweise im Textilbereich verwendet wird, mit einer Pultrusions- oder Strangziehanlage, wie sie zur Herstellung faserverstärkter Kunststoffprofile in einem kontinuierlichen Prozess Anwendung findet. Die Flechtmaschine bringt die trockenen Carbonfasern in die richtige Form und die Pultrusionsmaschine ummantelt sie mit Harz – alles voll automatisch. Die Fasern müssen nicht mehr wie üblich von Hand in das Werkzeug eingelegt und ausgerichtet werden.
Dass eine Massenfertig von FCK-Bauteilen wirtschaftlich möglich ist, macht der Autohersteller BMW deutlich. Dessen nach eigenen Angaben in wenigen Monaten verfügbares Elektroauto BMW i3 besitzt unter anderem eine aus der Serienproduktion stammende CFK-Fahrgastzelle. Eine „Revolution der Fertigungstechnik“ frohlockt der Münchner Autokonzern: „Carbonkomponenten revolutionieren jedoch nicht nur den Leichtbau. Sie ermöglichen auch neue Formen im Fahrzeugdesign, da der mit Kohlenstofffaser verstärkte Kunststoff in trockenem Zustand fast so leicht zu verarbeiten ist wie Textilstoff. So bieten Karosserien aus Carbon einerseits mehr Platz im Innenraum, ermöglichen andererseits aber auch komplexere, aerodynamisch optimierte Formgebung. Nicht zuletzt ist Carbon ein hochfester Werkstoff und erhöht die Sicherheit aller Passagiere eines BMW i.“ [7]
Carbonfaser verstärkte Kunststoffe finden vielseitige Anwendungsmöglichkeiten u. a. im Sport.
Weiteres Anwendungspotential für CFK
„Generell ist Leichtbau immer dann von Interesse, wenn Massen beschleunigt oder abgebremst werden.“ Das sei im Transportwesen der Fall, sagt Middendorf, aber auch in Bereichen wie der Gewinnung von Windenergie, die aufgrund steigender Rotordurchmesser und Blattlängen von bis zu 80 Meter eine Herausforderung für den CFK-Leichtbau darstellt. Stand der Technik sei nach wie vor die Gasfaserverstärkung, die im Vergleich zu Kohlenstoff preislich günstiger sei. Für große Anlagen aber sei der Einsatz von CFK-Materialien aufgrund ihrer gewichtsspezifischen Eigenschaften durchaus interessant. Worauf es ankomme, sagt der Wissenschaftler, sei neben dem Materialpreis vor allem eben auch eine Automatisierung der Fertigungstechnik; dieses Thema spiele in Zukunft eine große Rolle auch und vor allem um sich Marktvorteile gegenüber Wettbewerbern zu sicher und eine technologischen Vorsprung zu erzielen.
Apropos technologischer Vorsprung: Insbesondere für den Maschinenbau, dessen Herz Antriebsmaschinen und bewegte Teile bilden, könnte der CFK-Leichtbau eine gewichtige Rolle spielen. Einzug gehalten hat er bereits im Bereich der Hightech-Sportgeräte, „für die ein beachtlicher Teil der weltweiten Kohlefaserproduktion verbaut wird“, schildert Middendorf.
Mit der Frage, welche Rolle Polymere und Faser verstärkte Kunststoffe in der Raumfahrttechnologie spielen, beschäftigt sich eines unserer nächsten Themen des Monats.
Literatur/Quellen/Hintergrund
[1] www.spiegel.de/auto/aktuell/eu-parlament-beschliesst-strengere-co2-grenzwerte-fuer-autos-a-896338.html
[2] EU-Verordnung zur Verminderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
[3] B. Niesing: Carbon in Serie. Weiter vorn – Das Fraunhofer-Magazin 3 (2012) 8-13
[4] W. Beck, R. Kopp. H. von Hagen, P. Hohmeiner: Leichtbau durch Konstruktion und Form. Horizonte (1999) 248-255. ISBN 3-540-66373-8
[5] P. Middendorf: Potenzial und Einsatzgebiete von FKV für Leichtbauanwendungen. 23. Stuttgarter Kunststoff-Kolloquium, 6./7. März 2013
[6] G. Deußing: Kunststoff bewegt die Welt - Werkstoff des 21. Jahrhunderts. K-online.de Thema des Monats Juli 2012.
[7] www.bmw-i.de/de_de/concept/#der-beginn-des-carbonzeitalters
[8] W. Michaeli, H. Greif, L. Wolters, F.-J. Vossebürger: Technologie der Kunststoffe, Carl Hanser Verlag, München, 2008