„Kronleuchter“ von Martina Becker, Berlin (www.martinabecker.de); Material: recycelbare Kunststoffe; Ausstellungsort: Höhler E, Greizer Straße 37 (Eingang Museum für angewandte Kunst)
„Plastic goes Underground“, die Kunst begibt sich unter die Erde: Noch bis Ende Oktober sind in Gera, Thüringens drittgrößter Stadt, über 50 Installationen von Künstlern aus Europa und Ostasien an einem höchst ungewöhnlichen Ort zu bestaunen – nicht im Museum, sondern in fünf der 220 Höhler unter der Geraer Altstadt.
Als „Höhler“ werden Gewölbekeller bezeichnet, die ab Ende des 16. Jahrhunderts bis zu elf Meter tief unter die Häuser in den Geraer Zechsteinfels getrieben wurden, um dort Bier zu lagern. Weil der hiesige Wein nicht recht mundete, wandelte sich Gera im Spätmittelalter zur Bierstadt: Statt Trauben wurde auf dem Weinberg Hopfen angebaut und allen Hausbesitzern das Privileg verliehen, Bier zu brauen und sogar auszuschenken (Geraer „Braugerechtigkeit“ von 1487). Entsprechend wurden vermehrt kühle, dunkle Lagerstätten benötigt, wo der Gerstensaft nicht verdarb – die Höhler entstanden.
Heute steht Gera als Schwarzbierstadt im Schatten des benachbarten Bad Köstritz, und die Höhler haben als Bierkeller längst ausgedient. Im Zweiten Weltkrieg bewährten sie sich als Luftschutzkeller und wurden vielfach miteinander verbunden, um bei drohender Verschüttung Fluchtwege zu eröffnen – ein weit verzweigtes, neun Kilometer langes Labyrinth unterirdischer Gänge und verwunschener Nischen, das inzwischen neben Touristen auch Künstler für sich entdeckt haben: Anno 2003 hob der Verein zur Erhaltung der Geraer Höhler e. V. gemeinsam mit der Stadtverwaltung die Höhler Biennale aus der Taufe. Seitdem wählt alle zwei Jahre eine Geraer Jury aus hunderten von Bewerbern jene Installationskünstler aus, deren Werke gekonnt mit dem Genius loci kommunizieren, d. h. die Höhler in Szene setzen und in ihnen als Kunst besonders zur Geltung kommen.
5. Höhler Biennale
In diesem Jahr findet bereits die 5. Höhler Biennale statt; Schirmherrin ist Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen. Installationen von 54 Künstlern inszenieren im Thüringer Untergrund ein Spiel mit Licht und Schatten, Stille und Stimmen, Mittelalter und Moderne, Minotaurus und Grottenolm. Ein Spiel auch mit dem Begriff „Unterwelt“ und den Assoziationen, die er weckt: ein Reich im Verborgenen, ein Ort für Dinge, die es den Blicken zu entziehen gilt, ein Versteck, ein Verlies, ein Grab, ein Ort des Todes wie der griechische Hades oder aber ein Ort vitalen Lebens, des Eros, der sich hier ungehindert entfalten kann. Kein Zufall, dass in den Höhlern vielfach Kunststoff als künstlerisches Material dominiert: Wo Aufreizendes („Hades der Dessous“ von Ursula Reindell) und Abgelebtes (der mit Plastikmüll behängte „Kronleuchter“ von Martina Becker) sich ein Stelldichein geben, dürfen, wie man in Gera sagt, Plaste nicht fehlen. Selbst der Recyclinggedanke hat im Assoziationsraum von „Eros und Tod“ seinen Ort: „Stirb und werde ...“
Der Besuch der Höhler Biennale ist aber nicht bloß intellektuell ein Erlebnis, sondern spricht alle Sinne an: In den nur schwach beleuchteten Gängen, durch die man sich von Kunstwerk zu Kunstwerk tastet, verliert sich das Zeitempfinden und schärft sich die Selbstwahrnehmung. „Der Besucher wird Teil der Kunstwerke“, pointiert Dr. Gitta Heil, Kuratorin der Höhler Biennale.
Die 5. Höhler Biennale eröffnete am 24. Juni und endet am 30. Oktober (Besuchszeiten: Mittwoch bis Sonntag 10-18 Uhr). Eintrittspreis für alle fünf Ausstellungshöhler: 5 Euro, Katalog: 10 Euro. Weitere Infos im Internet: www.hoehlerbiennale.de, www.gera-hoehler.de
(Guido Deußing)