Realität ist meist komplizierter als die Fiktion: Nicht selten stehen Polizei und Staatsanwaltschaft vor der schwierigen Aufgabe, Schussverletzungen einer Leiche eindeutig zuzuordnen. Mord und Selbstmord – diese Frage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beantworten, setzt sehr viel kriminaltechnisches, forensisches Fachwissen voraus. Doch das alleine ist mitunter nicht hinreichend – ohne geeignete Instrumente und Werkstoffe: Polymermaterialien zum Beispiel können überaus hilfreich sein, wenn es darum geht, nach einem Schusswaffengebrauch Beweise zu sichern und den Tathergang zu rekonstruieren.
Für die Polizei schien der Fall eindeutig: Peter G. hatte nach einer gemeinsamen Zechtour seinen Kumpel Helmut S. aus nächster Nähe erschossen. Die Indizien sprachen dafür. Doch der vermeintliche Täter beteuerte immer wieder seine Unschuld und behauptete, S. habe sich selber getötet. Die Ermittler allerdings glaubten kein einziges Wort. Denn an den Händen des Toten fanden sie keine Schmauchspuren, wohl aber an der rechten Hand von Peter G. Für die Polizeibeamten war damit der Beweis erbracht, dass er den tödlichen Schuss auf seinen Kumpel abgefeuert hatte.
Schmauch heißen mikroskopisch feine Schussrückstände, die sich auf der Waffe und der Hand verteilen, mit der sie abgefeuert wurde. Die Zusammensetzung des Rückstands ist abhängig von der Munitionsart und enthält beispielsweise Blei, Barium und Antimon; diese Stoffe bilden auf der Hautoberfläche einen mit bloßem Auge nicht sichtbaren Film. Wobei jede Waffe beim Abfeuern ganz typische Schmauchspuren hinterlässt, die den Täter quasi brandmarken: Sie lassen sich selbst durch intensives Waschen mit Wasser und Seife kaum entfernen und sind auch noch Tage nach der Tat festzustellen. Anhand von Schmauchspuren kann die Polizei den wahren Täter überführen – jedoch nur dann, wenn sie bei der Spurensicherung die geeignete Methode anwendet.
Und davon gibt es eine ganze Reihe: Meist sammelt die Polizei mit feuchten Baumwolltupfern oder Klebestreifen stichprobenartig Schmauch auf der Hand des Tatverdächtigen. Beide Verfahren haben den Vorteil, dass sie am Tatort schnell durchzuführen sind. Ihr Nachteil liegt jedoch in ihrer Ungenauigkeit: Mit ihnen lassen sich grundsätzlich keine eindeutigen Aussagen darüber treffen, ob ein Verdächtiger auch wirklich mit einer bestimmten Waffe geschossen hat, sagt der leitende Rechtsmediziner und ausgewiesene Schussexperte Prof. Christian Schyma vom Institut für Rechtsmedizin der Universität in Bern: „Bereits der bloße Kontakt mit einer Waffe hinterlässt Schmauchspuren an der Hand – also, auch ohne dass mit ihr geschossen worden ist.“
Im Gegensatz dazu sagt die Verteilung der Schmauchpartikel auf Daumen, Zeigefinger und Handrücken sehr viel mehr über den Tathergang aus. Schyma: „Anhand der Dichte der Rückstände lässt sich die Schusshand eindeutig erkennen.“ Beim derzeit besten Verfahren zur Sicherung von Schmauchspuren wird die Hand mit einem flüssigem Kunststoff, sogenanntem Polyvinylalkohol (PVAL), eingepinselt. Sobald der ausgehärtet ist, lässt sich die gummiartige Hülle wie ein Handschuh abziehen. Selbst kleinste Rückstände von der Hautoberfläche, wie Blut, Schmauch, Fasern und anderen Partikeln, sind darin konserviert, können somit unter dem Mikroskop untersucht und genau lokalisiert werden.
Auch serologische Analysen sind mit dem gesicherten Beweisgut möglich: „Aus anhaftendem Blut und Gewebe können wir die DNS gewinnen und den genetischen Fingerabdruck des Täters anfertigen“, sagt Schyma. Bei den herkömmlichen Methoden geht meist immer eine Spurenart verloren – entweder Schmauch oder Blut beziehungsweise Gewebe. Viele Fälle, mit anfangs unklarer Täterschaft, ließen sich mit Hilfe des PVAL-Handschuhs lösen – auch umstrittene Selbstmorde. Denn nach einer Selbsterschießung haften winzige, dennoch typische Spuren des eigenen Gewebes an der Hand des Schützen. Sie lassen sich mit der PVAL-Methode problemlos sichern, untersuchen und zuordnen.
Hätten die Ermittler sie benutzt, so wären die Spekulationen etwa nach dem tödlichen Polizeieinsatz in Bad Kleinen im Jahre 1993 gar nicht erst aufgetreten, ist der Schussexperte Schyma überzeugt. Mit Hilfe des PVAL-Handschuhs hätte zweifelsfrei erkannt werden können, ob das ehemalige RAF-Mitglied Wolfgang Grams damals Selbstmord begangen hat oder von einem Beamten der GSG 9 erschossen worden ist.
Zurück zum Fall Peter G. Weil er auch nach zwei Tagen intensiver Verhöre immer noch vehement sein Unschuld beteuerte, wurde schließlich bei dem Toten Helmut S. die PVAL-Methode angewandt: Tatsächlich fand sich auf dessen rechter Hand die typische Schmauchspurverteilung, die mit den herkömmlichen Methoden nicht nachgewiesen werden konnte. S. hatte also den tödlichen Schuss selber abgefeuert. G. hatte die Waffe lediglich einmal kurz in der Hand gehalten.
Die Wahrheit kam ans Licht – Kunststoff sei Dank. GDeußing