Wer nach den Ursprüngen des luftgefüllten Reifens sucht, wird nicht gerade beim Rad in der Steinzeit, sondern im späten 19. Jahrhundert der irischen Hauptstadt Belfast landen: Ein dort lebender Schotte, Tierarzt von Beruf, sicherte sich um 1888 einen unumstößlichen Platz in der Reifengeschichte. Die Rede ist von John Boyd Dunlop (1841-1921). Ihm gelang der entscheidende Schritt bei der Entwicklung und Vermarktung des aufblasbaren Runds aus Kautschuk, aufgebaut aus einem Gummischlauch mit Fußballventil und einer darüber gespannten Leinwand. Noch im selben Jahr erhielt er dafür ein Patent. Zunächst an Fahrrädern getestet, war die Eroberung des Automobils nur noch eine Frage der Zeit.
Angemerkt sei an dieser Stelle aus Gründen der Gerechtigkeit, dass John Boyd Dunlop nicht der erste Mann auf dem Reifen-Mond war. Man könnte sagen, ihm wurde eigentlich nur das Glück der späten Geburt zu teil: Bereits im Jahre 1845 erfand der Schotte Robert William Thomson den luftgefüllten Reifen. Dieser bestand aus einem oder mehreren Segeltuchschläuchen, die mit Kautschuk imprägniert waren, und einer Lederdecke. Sein Pech, er war mit dieser Erfindung einfach seiner Zeit weit voraus; damals gab es noch nicht einmal Fahrräder, die eventuell Luftreifen benötigt hätten. Kleiner Trost: Einige Fahrzeuge liefen später auch auf Thomson-Pneus, die zum Teil mehrere Luftkammern (Schläuche) enthielten, gewissermaßen die Vorläufer etlicher Konstruktionen pannensicherer Reifen.
Sieben Jahre nach John Boyd Dunlops Patent, im Jahre 1895 also, wurden die Pneumatik-Reifen in einem Langstreckentest auf die Probe gestellt Die Gebrüder André und Edouard Michelin hatten sich für die Luftikusse entschieden und verwendeten sie während des Autorennens Paris-Bordeaux-Paris; sie nahmen mit einem Peugeot-Wagen namens ,,Eclair“ (Blitz) daran teil. Das brachte ihnen jedoch keinen entscheidenden Vorteil, denn ins Ziel kamen sie nicht als Erste, sondern nur mit Ach und Krach: Sie kämpften mit 50 Pannen und 22 zum Teil umständlichen Reifenwechseln. Dafür hatte der Sieger Emil Layassor nur ein schadenfrohes Lächeln übrig: Er fuhr Vollgummireifen.
Was für die Michelin-Brüder möglicherweise ein schwerer persönlicher Schlag bedeutete, tat der Reifenentwicklung keinen Abbruch, im Gegenteil: Von da an ging es richtig los. Bereits drei Jahre später gab es die ersten luftbereiften Automobile direkt ab Werk. 1899 hatte auch Continental die ersten Autoreifen im Programm. Preis: 269 Mark, Lebensdauer: 500 Kilometer.
Der Belgier Camille Jenatzy durchbrach im selben Jahr mit einem Elektrofahrzeug und speziellen Luftreifen von Michelin die damals unglaubliche Geschwindigkeitsgrenze von 100 Stundenkilometern. Normalerweise bekam man bereits bei 20 Kilometer pro Stunde einen Geschwindigkeitsrausch, denn die Höchstgeschwindigkeit lag zur damaligen Zeit üblicherweise bei 15 km/h.
Um etwa 1904 änderte sich das Design der Reifen: Sie wurden markanter im Profil, aber farbloser im Ansehen. Querrippenprofile markieren ihren Weg in die Zukunft. Durch die Zugabe von Ruß - bis heute üblich - erhöhte sich die Gummifestigkeit, was letztlich für eine längere Lebensdauer sorgte. Einstmals eher gelblich-weiß, rollten die Pneus nun schwarz durch die Gegend.
Es gibt aber noch weitere wichtige Stationen auf dem Weg der Reifen-Reife: So bekam er im Jahre 1915 sozusagen Flügel: Pirelli baute die ersten luftgefüllten Reifen für Flugzeuge. Zwei Jahre später stellte Goodyear die ersten LKW-Luftreifen her, Bayer zum ersten Mal synthetischen Kautschuk, was einen enormen Fortschritt für die Reifenindustrie bedeutete. 1922 erfuhr der Luftreifen dann eine weitere entscheidende Veränderung: Dunlop präsentierte auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) den ersten Autoreifen mit Stahldraht im Wulst, zum besseren Sitz auf der Felge - seit 1924 Produktionsstandard.
Ein Sprung ins Jahr 1943: Ein Patent jagte das nächste. Die Firma Continental erhielt eines für den schlauchlosen Reifen -heute eine Selbstverständlichkeit-, drei Jahre später Michelin für den Stahlgürtelreifen.
1950 brachten zwei Buchstaben die Reifenwelt in Wallung: M+S. Die ersten Matsch + Schneereifen waren zwar grobstollig und laut, aber unter winterlichen Fahrbahnbedingungen besser als andere Reifen.
Erst 30 Jahre später präsentierte Goodyear in Deutschland den ersten echten Ganzjahresreifen. Für die Leute, die grundsätzlich keine Winterreifen kauften, war dieser Reifen eine durchaus vernünftige und für alle Wetterlagen geeignete Lösung. Wie seine Nachfolger hatte er an der Reifenflanke eine M+S-Kennung.
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