Der Umgang mit Altkunststoffen gestaltet sich schwierig, vor allem, wenn sie unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Weder scheint man das Problem mit Verboten in den Griff zu bekommen, noch mit bestehenden Abfallentsorgungs- und Verwertungsmaßnahmen. Die Idee des rohstofflichen beziehungsweise chemischen Recyclings kommt wie gerufen.
Die Welt ist nicht genug, wir brauchen wenigstens zwei, zumindest um unseren Hunger nach Rohstoffen zu stillen. Laut „Global Footprint Network“ wurde im letzten Jahr bereits am 22. August jener Tag erreicht, an dem die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen Angebot und Kapazität unserer Erde um das 1,6-fache überschritten hat [1]. Ende 1961 war die Menschheit noch mit Reserven ins neue Jahr gestartet. Seit damals aber hat sich der sogenannte „Erdüberlastungstag“ (Earth Overshoot Day) mehr und mehr nach vorne verlagert. Ein Phänomen, das sicherlich nicht zuletzt mit der anwachsenden Weltbevölkerung, wohl aber auch mit dem konsumorientierten Lebensstil unserer hochindustrialisierten Welt vergesellschaftet ist. Mit dem Verbrauch von Ressourcen einher geht auch eine Zunahme an Abfall, den wir wie eine Mitgift von Generation zu Generation weitgeben. Altkunststoffe beziehungsweise aus Erdöl hergestellte Kunststoffe und Kautschuk spielen in diesem Kontext eine nicht unwichtige Rolle.
Altkunststoffe und Umwelt
Zwar geht von Altkunststoffen und anderen Polymererzeugnissen, die ihren Gebrauchshorizont überschritten haben, in der Regel keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben aus, anders als bei radioaktiven Rückständen aus Kernreaktoren. Dessen ungeachtet hinterlassen Kunststoffe Spuren. Symbolträchtig sind die in allen Weltmeeren zu findenden „Müllstrudel“ sowie das vielfach auch schon in den Medien thematisierte Problem des Mikroplastiks. Es entsteht, wenn Produkte aus Kunststoff und Kautschuk unter äußeren Einflüssen in winzigste Teile zerbröseln. Die diesem Prozess entstammenden Partikel verbreiten sich zu Lande, zu Wasser und mit der Luft und gelangen auf diese Weise letztlich auch in die Nahrungskette.
Zwei Seite einer Medaille
Quelle: istock / vovashevdzuk
Was Kunststoffe in der Anwendung auszeichnet, kehrt sich ins Gegenteil, wenn sie unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Das Eigenschaftsprofil synthetischer Werkstoffe lässt sich durch Zusatz-, Hilfs- oder Verstärkungsstoffen und mit der geeigneten Technik gezielt auf ihre spätere Verwendung einstellen. Auf Wunsch sind Polymerwerkstoffe hart Stahl und doch sehr viel leichter im Gewicht, biegsam wie Holzfaser, jedoch deutlich bruchfester. Kunststoffe lassen sich schäumen, zu Platten und in Form pressen oder zu Fasern spinnen und sie wirken, je nach Zusatz, antistatisch, desinfizierend, weniger brennbar oder stromleitend. Viele gute Argumente sprechen für den Einsatz von Kunststoffen, was letztlich auch die steile Karriere erklärt, die Polymerwerkstoffe in den vergangenen 100 Jahren hingelegt haben. Obendrein sind sie preisgünstig herzustellen, meist viel billiger und nicht selten leistungsfähiger als natürliche Materialien, weshalb Kunststoffe in so vielen Anwendungen zum Werkstoff der Wahl avancierten.
Was in der Vergangenheit weniger bedacht, heute jedoch im Grunde bei der Herstellung eines jeden neuen Polymerprodukts überlegt werden soll, ist dessen Verbleib nach Gebrauch, also wenn das Ende seiner Nutzungsdauer erreicht ist.
Was tun mit alten Kunstoffen?
Wenn die ersten Menschen in früherer Zeit ein Mammut erlegten, um ihren Hunger zu stillen, blieb am Ende wenig bis gar nichts von dem Tier als Abfall übrig: Was nicht gegessen wurde, fand Verwendung als Kleidung, Werk- und Spielzeug oder Waffe – von einer solche geradezu perfekten Ökobilanz kann eine moderne Gesellschaft nur träumen. Wenn wir unserer Essen besorgen, um bei dem Beispiel Nahrung zu bleiben, ist es oftmals in Kunststofffolie verpackt, die ihrer Transparenz wegen den Eindruck erweckt, aus einem einzigen Material zu bestehen.
Der Eindruck täuscht nicht selten. Selbst scheinbar einfache Folien sind häufig komplex aufgebaute, mehrlagige Polymerprodukte. Darin verarbeitete Kunststoffe lassen sich mit gängigen Verfahren und Techniken nicht voreinander trennen. Das aber schränkt ihre werkstoffliche Wiederverwertung als Rohstoff bei der Herstellung neuer, qualitative gleichwertiger Polymerprodukte ein.
Wo es möglich ist, werden Kunststoffe im „Kreis gefahren“. Bei PET-Flaschen ist das zum Beispiel bis zu einem gewissen Grad der Fall, und zwar deshalb, weil diese „Verpackung“ aus nur einem einzigen Kunststoff, namentlich Polyethylenterephthalat (PET), hergestellt wird. PET ist ein thermoplastischer und damit unter Wärmeeinfluss verformbarer Kunststoff aus der Familie der Polyester. Da alle Kunststoffe, gleich welcher Art, meistens aus Erdöl hergestellt werden, besitzen sie dessen Energiepotenzial. Altkunststoffe lassen sich deswegen thermisch beziehungsweise energetisch verwerten, etwa zur Gewinnung von Wärme im Heizkraftwerk.
Die Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG (ARRL) der Europäischen Union (EU) legt eine generelle Prioritätenfolge von Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen fest, nach der das (werkstoffliche) Recycling grundsätzlich vorteilhafter ist als die energetische Verwertung (Artikel 4 ARRL). Recycling sei jedoch kein Selbstzweck, heißt es im Hintergrundpapier „Chemisches Recycling“ des Deutschen Umweltbundesamtes (UBA) [2]. „Vielmehr muss es der Maßnahme des bestmöglichen Schutzes von Mensch und Umwelt entsprechen, wobei der gesamte Lebenszyklus des Abfalls zu betrachten ist.“ Aus eben diesem Grund sollte Kunststoffrecycling möglichst hochwertig erfolgen mit dem Ziel, „Stoffe aus dem Abfallstrom zurückzugewinnen, die Primärmaterialien und bestenfalls Primärkunststoffe ersetzen und dadurch Ressourcen einzusparen“.
Mit anderen Worten: Die stoffliche Verwertung von Altkunststoffen ist zu bevorzugen, und zwar im Zuge der Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte (Upcycling). An diese Stelle kommt dem Prozess des chemischen oder rohstofflichen Recyclings eine große Bedeutung zu.
Fokus auf das rohstoffliche Recycling
Die Idee hinter dem rohstofflichen oder chemischen Recycling lässt sich auf den Punkt bringen: Es geht darum, die in Kunststoffen (Polymere) verarbeiteten chemischen Grundbausteine (Monomere) zurückzugewinnen, um sie eins zu eins wieder nutzen zu können. Dieser Vorgang wird als Depolymerisation bezeichnet, und zwar in Anlehnung an die Herstellung von Kunststoffen im Zuge der Polymerisation. Sie erfolgt mittels geeigneter chemischer Reaktionen, wobei die kohlenwasserstoffbasierten Monomere auf unterschiedliche Art miteinander verknüpft werden.
Willkommen in Legoland
Rohstoffliches oder chemisches Recycling bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Monomere in reiner Form zurückgewonnen werden. Im Grund gleicht das Prinzip jenen des dänischen Spielzeugklassikers Lego: Aus den immergleichen verschiedenfarbigen und unterschiedlich dimensionierten Kunststoff-Klemmbausteinen lassen sich unterschiedliche Gebilde zusammenbauen: Was eben ein imperialer Sternenkreuzer der Science-Fiction-Saga „Star Wars“ war, lässt sich im nächsten Moment zu einem Kreuzfahrtschiff, einer Achterbahn oder der Internationalen Raumstation (ISS) arrangieren.
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Pyrolyse: Weg vom Polymer zum Monomer
Im Zuge der rohstofflichen Verwertung werden Kunststoffe in ihre Ursprungsmonomere zerlegt. Eine Einschränkung: Saubere Monomere lassen sich dem Grunde nach nur aus sortenreinen Kunststoffabfällen erzeugen. Ein Weg zur Gewinnung von Monomeren führt über die Pyrolyse. Homogenes, möglichst sauberes Material wird hierbei auf 400 bis 800 Grad Celsius erhitzt, und zwar unter Ausschluss von Sauerstoff – ein Kennzeichen der Pyrolyse. Altkunststoffe werden also nicht verbrannt (oxidiert), sondern thermisch aufgebrochen (cracken) und in petrochemisch interessante Stoffe zerlegt (fragmentiert). Hierbei fallen Öle oder Wachse an, die sich nach einigen Reinigungsschritten als Grund- und Ausgangsstoffen wieder in der chemischen Industrie einsetzen und nutzen lassen.
Vergasung: Altes Verfahren neu entdeckt
Bereits der vielseitig gelehrte und Chemikern seiner Arbeit wegen wohlbekannte Franzose Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794) erzeugte aus an Luft erhitzten Kohlen in Verbindung mit Wasserdampf sogenanntes Wassergas. Hierbei handelt es sich um ein brennbares Gasmischung aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, das sich auch für die Gewinnung von Chemikalien eignet. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Verfahren der Kohlevergasung in England weiterentwickelt und zur Herstellung von Kohlenmonoxid-haltigem Leucht- beziehungsweise Generatorgas verwendetet, das im weiteren Verlauf der Geschichte als Stadtgas zunächst für die Straßen-, später dann auch für die Innenbeleuchtung verwendet wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts diente es als Wärmequelle für Herd und Ofen.
Schließlich und endlich erfolgte ein weiterer Entwicklungsschritt im Zuge der Kohlehydrierung, bei der Wasserstoff an Kohlenstoff addiert wurde, was wiederum zur Bildung unterschiedlicher gasförmiger Kohlenwasserstoffverbindungen wie Methan, Propan, Ethan oder Butan führte – allesamt wichtige Ausgangsstoffe für die Herstellung von Chemikalien und auch Kunststoffen.
Da es sich wiederum bei Polymeren um kohlenstoffreiche Verbindungen handelt, eignen sich auch Altkunststoffe für den Einsatz in Vergasungsverfahren zu Erzeugung eines Synthesegases, dass sich als Grundstoff für die Herstellung neuer Kunststoffen nutzen lässt.
Verflüssigung: Ölquelle Altkunststoff
Altkunststoffe lassen sie auch unmittelbar verflüssigt und so rohstofflich verwerten, etwa im Zuge der sogenannten „Solvolyse“: Das Material reagiert, vereinfacht gesagt, mit einem Lösungsmittel, wobei es zum Bruch von chemischen Bindung kommt und die Polymere in Monomere zerlegt werden. Stellschrauben in diesem Prozesses bilden die Parameter Druck und Temperatur.
Altkunststoffe lassen sich allerdings auch ohne Einsatz von Lösungsmittel „verölen“, und zwar durch direkte thermische oder katalytische Zersetzung in einem Rührkessel. Das Zielprodukte stellt eine flüssige Phase dar, in der die Monomere vorliegen.
Es braucht eine Perspektive
„Als potenzielle Vorteile aller rohstofflichen beziehungsweise chemischen Recyclingverfahren sind
die Möglichkeit zur Ausschleusung von Schadstoffen aus dem Kreislauf,
der Einsatz von werkstofflich nicht verwertbaren Kunststofffraktionen
und das breite Einsatzspektrum als Rohstoff der chemischen Industrie zu nennen“,
leiten die Autoren des Umweltbundesamtes das Fazit ihres Hintergrundberichts „Chemisches Recycling“ [2] ein. Ferner könnten rohstoffliche Recyclingverfahren für Kunststoffabfälle, die nicht werkstofflich aufbereitet werden können und bislang in die energetische Verwertung gehen, eine sinnvolle Alternative sein. Sie gehören, wie die werkstofflichen Verwertungsverfahren, zum Recycling und stehen damit in der Abfallhierarchie vor der energetischen Verwertung. Eine erfolgreiche Umsetzung der rohstofflichen/chemischen Verwertung könnte als Ergänzung zu werkstofflichen Verwertungsverfahren – für Abfälle, die nicht einem werkstofflichen Recycling zugeführt werden können – die Kunststoffproduktion insgesamt nachhaltiger gestalten.“
Kunststoffabfälle
Die Abfallwirtschaft verwertet die gesammelten Kunststoffabfälle nahezu vollständig. Im Jahr 2019 hat sie 46 Prozent aller gesammelten Kunststoffabfälle werkstofflich und weniger als 1 Prozent rohstofflich verwertet. 53 Prozent der Abfälle wurden energetisch verwertet. Aus Klima- und Umweltschutzsicht ist es wichtig, mehr Kunststoffabfälle werkstofflich zu verwerten. [Weitere Informationen: Umweltbundesamt]