Wenn Kunststoff Herzen macht

Für Menschen mit einer ausgeprägten Herzinsuffizienz oder einem gravierenden Herzfehler erweist sich die Transplantation eines gesunden Organs als lebensrettend. Wenn es nur nicht allenthalben an Spenderherzen mangelte; und die Bereitschaft zur Organspende ist hierzulande und auch anderenorts einfach zu gering. Im Zweifel braucht man künstliche Herzen, die das Kreislaufsystem im Fluss zu halten. Bislang sind die verwendeten Kunstherzen eher Surrogate, sprich kein wirklicher Ersatz für das Original, ein Notbehelf, das mehr einer technischen Pumpe gleicht als einem Organ. Daran etwas zu ändern, haben sich Forscher auf die Fahne geschrieben. Ihr Ziel ist es, ein Kunstherz aus lebendem Gewebe herzustellen. Im Labor haben sie funktionierende Herzmuskelfasern erzeugt. Als Basis dient ein Gerüst aus versponnenem Kunststoff.

Wer aufgrund einer ausgeprägten Herzinsuffizienz – in Industrienationen sind das ein bis zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung, EU-weit rund zehn Millionen Menschen – oder einer anderen erheblichen Herzerkrankung auf die Transplantation eines neuen Organs angewiesen ist, kann bislang nur darauf hoffen, schnellstmöglich ein passendes Spenderorgan zu erhalten. Das ist jedoch alles andere als einfach, und zwar nicht nur, weil die Zahl potenzieller Organspender partiell rückläufig ist: Organe lassen sich nicht einfach von einem Menschen auf den anderen übertragen. Weist das Gewebe des Spenderorgans gravierende Unterschiede zu dem des Patienten auf, ist die Gefahr recht groß, dass dessen Immunsystem das implantierte körperfremde Organ umgehend abstößt. Diese Antwort des Immunsystems zielgerichtet zu beeinflussen und dessen Abstoßungsreaktion zu drosseln, wird durch Gabe sogenannter Immunsuppressiva versucht. Diese Medikamente beeinflussen die Effizienz des Immunsystems – und damit auch seine Funktion als Schutzwall gegen schädliche Keine und Erreger. Patienten mit einem transplantierten Organ leben oft mit einer erhöhten Infektionsgefahr.

Die Alternative zum Transplantat bietet bislang der Anschluss an ein Kunstherz, also an eine Apparatur, die die Pumpfunktion des Herzens in Teilen oder vollständig übernimmt. Bestehende System sind zwar bereits weitentwickelt, erweisen sich allerdings noch weit vom dem was möglich scheint. Die Entwicklung eines neuartigen „Kunstherzen“ steht im Fokus des Projekts „Zurich Heart“ des Forschungsverbundes der Hochschulmedizin Zürich mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Dieser Forschungsverbund strebt an, bestehende Systemkomponenten bei Kunstherzen zu verbessern, „um die Schwachstellen der heute verwendeten Systeme bezüglich Energietransfer, Regelungstechnik und Oberflächeneigenschaften zu beheben“, heißt es auf der Homepage des Forschungsverbunds. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde mit dem einen weichen Kunstherz aus Silikon erreicht [s. Apropos K].

Damit die neue Pumpe aus dem Syntheselabor vom Körper des Patienten angenommen wird, soll sie – einer Tarnkappe gleich – in menschliches Gewebe gehüllt werden. Bisher erweist sich das Züchten von mehrschichtigen funktionsfähigen Geweben jedoch als Herausforderung, mit dem sich das sogenannte „Tissue Engineering“ beschäftigt. Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Erfolg hat Empa-Forscher genommen, in dem es ihnen gelungen ist, Zellen in einem dreidimensionalen Kunststoffgerüst zu Muskelfasern heranwachsen zu lassen.

„Das menschliche Herz ist natürlicherweise aus mehreren Lagen unterschiedlicher Gewebe aufgebaut“, erklärt Lukas Weidenbacher von der Empa-Abteilung Biomimetic Membranes and Textiles in St. Gallen. Muskelfasern in der Auskleidung spielen hier eine entscheidende Rolle, weil sie für die Stabilität und Flexibilität des stetig schlagenden Herzens sorgen.“ Mehrschichtig wachsende Muskelfasern zu züchten, seit jedoch schwierig, da die Zellen zunächst in ein räumliches Gerüst eingebracht werden müssen. „Zwar ist es möglich, dreidimensionale Gebilde aus Kunststoff zu erzeugen, die dem menschlichen Gewebe stark ähneln, etwa durch das sogenannte Elektrospinning“, erklärt Weidenbacher. Bei diesem Prozess werden flüssige Polymere als hauchzarte Fäden in der Form natürlicher Gewebe versponnen. Schädliche Lösemittel, die für die Methode erforderlichen sind, seien jedoch Gift für die empfindlichen Zellen, die es zu schützen gilt.

Die Empa-Forscher haben daher die eingesetzten Muskelfaserzellen verpackt: Jeweils zwei Zellen steckten sie in ein Kapsel aus Gelatine. Die Gelatine bildet einen Schutzwall, den das Lösemittel nicht durchdringen kann. Die Zellen sind vor den Lösemitteln geschützt. Um die Zellen an den Ort ihrer Mission zu bringen, nutzen die Wissenschaftler ein spezielles Sprühverfahren, das Elektrospraying, das es ermöglicht, die Kapseln in die Poren des gesponnenen Gerüsts einbringen. „Das Sprayen überstehen die derart geschützten Zellen sehr gut“, sagt Weidenbacher. Sobald sich die Zellen an ihrem Zielort eingenistet haben, löst sich die gallertige Gelatinekapsel innerhalb von Minuten auf.

Dass es den Zellen in ihrem Kunststoff-Nest gefällt, zeigen Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop: Sobald die Kapseln aufgelöst sind, beginnen die unreifen Vorläuferzellen miteinander zu verschmelzen und zu länglichen Muskelfasern auszureifen. Am Schluss soll eine Struktur entstehen, die natürlichem Muskelgewebe möglichst ähnlich ist. Dabei müssen die Organarchitekten wirklich an alles denken, etwa das Risiko, das besteht, wenn sich Blut in einem Kreislaufsystem bewegt. Weidenbacher: „Alle Oberflächen sie so zu gestalten, dass an keiner Stelle ein Blutgerinnsel entsteht, dass, so es sich später im Organismus lösen sollte, Gefäße blockieren und zum Beispiel eine Schlaganfall hervorrufen kann.

Bislang deuten alle Versuche daraufhin, dass Weidenbacher und seine Kollegen auf einem guten Weg sind. Für ihre Versuchsreihe haben sie unreife Muskelzellen einer Mäuse-Zelllinie verwendet. Die Vorläuferzellen differenzierten sich im Gerüst aus und produzierten Proteine, die typischerweise in Muskeln vorkommen. Sobald sich der Einsatz in der klinischen Praxis abzeichnet, soll das implantierbare Kunstherz mit Zellen bestückt werden, die vom Patienten selbst stammen. Dann lässt sich auf einem vorgegebenen Kunststoffgerüst für jeden Betroffenen ein Herz züchten, das vom Körper mehr oder weniger als Eigengewächs erkannt und nicht abgestoßen wird…

Apropos: Kunststoffe spielen eine große Rolle im Bereich der Medizin, Medizintechnik und Hygiene. Einen guten Einblick über das Einsatzspektrum von Kunststoffen in diesen Anwendungsfeldern bietet die MEDICA 2017, die Weltmesse der Medizinbranche, vom 13. bis 16. November 2017.