Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Weg zum Mars und Sie verlieren ein entscheidendes Werkzeug während eines Spaziergangs im All. Kein Problem! Sie gehen einfach zurück an Bord Ihres Raumschiffs und verwenden einige Mikroorganismen, um aus Urin und Kohlendioxid (CO2) all das herzustellen, was auf einer langen Reise durch das All erforderlich ist, unter anderem auch Nahrung und Kunststoff. Das zumindest ist das ultimative Ziel von Weltraumforschern.
Wer sich auf den Weg durchs All zum Mars oder anderen fernen Planeten macht, kann, nach dem gegenwärtigen Stand der Technik, damit rechnen, Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte unterwegs zu sein. Je länger eine Reise dauert, desto größer ist der Bedarf an Reiseproviant und Material. Noch mehr als beim Reisen mit dem Flugzeug gilt in der Raumfahrt: Die Mengen an Gepäck ist arg begrenzt. Und nicht alles, was man auf der Reise braucht, lässt sich im Stauraum der Rakete unterbringen. Nicht zuletzt sind nicht alle fürs Leben notwendigen Mittel unbegrenzt haltbar.
Da es unterwegs weder einen Supermarkt, noch einen Baustoff- oder Werkzeughandel oder eine Apotheke gibt, heißt es: selbst ist der Astronaut. Was benötigt wird, ist an Bord oder auf einem fernen Planeten in Eigenregie zu erzeugen oder herzustellen. Die einzige Ressource, die auch in galaktisch weiter Ferne in hinreichender Menge vorhanden zu sein scheint ist auf natürliche Weise angefallener menschlicher Biomüll.
Der Mensch isst, trinkt, atmet – und scheidet aus. Seine festen, flüssigen und gasförmigen Ausscheidungen sind es, die im Weltall letztlich das Überleben des Astronauten sicherstellen. Auf der 254. Tagung der American Chemical Society (ACS) in den USA präsentierte der Wissenschaftler Dr. Mark A. Blenner seine Vorstellung vom Überleben im Weltraum. Gemeinsam mit seinem Team studierte der Assistant Professor am Department of Chemical and Biomolecular Engineering der Clemson University im US-Bundesstaat South Carolina, wie sich an Bord eines Raumschiffs wichtige chemische Ausgangsstoffe gewinnen und aus ihnen für Astronauten lebensnotwendige Produkte, wie Nähr- und Kunststoffe herstellen lassen.
Für die Herstellung der Ausgangsstoffe nutzen Blenner und sein Team ein biologisches System, dass sich zu jeder Zeit aus einem Ruhezustand aktivieren lässt. Es basiert auf dem Zusammenwirken vor allem von Mikroorganismen, unter anderem einer Vielzahl unterschiedlicher Stämme der Hefe Yarrowia lipolytica. Diese Hefe besitzt aus biotechnologischer Sicht interessante Eigenschaften, da sie in der Lage ist, unter bestimmten Kulturvierungsbedingungen unter anderem große Mengen organischer Säuren zu bilden, die für die Herstellung und Gewinnung höherer Produkte erforderlich sind.
Yarrowia lipolytica benötigt zum Wachsen sowohl Stickstoff (N) als auch Kohlenstoff (C). Wie Blenners Team herausfand, kann sie diese beiden Komponenten dem in unbehandeltem Urin enthaltenen Harnstoff ziehen. Ebenso nutzt die Hefe den Kohlenstoff aus dem Kohlendioxid (CO2), der in der ausgeatmeten Luft der Astronauten enthalten ist oder etwa der Marsatmosphäre entstammt. Um allerdings CO2 als Kohlenstoffquelle verwenden zu können, bedarf es einer Überführung des Kohlenstoffs in eine für die Hefe nutzbaren Form. Diesen Zwischenschritt übernehmen von den Wissenschaftlern eingesetzte photosynthetische Cyanobakterien oder Algen.
Eine der von Blenners verwendeten Hefestämme produziert zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren, die wichtig sind für die Gesunderhaltung von Herz, Augen und Gehirn. Eine andere bildet Monomere aus, die sich zu Kunststoffen wie Polyester polymerisieren und in einem 3D-Drucker zu wichtigen Kunststoffteilen verarbeiten lassen. Blenners Team arbeitet derzeit daran, mit Hilfe von Yarrowia lipolytica viele unterschiedliche Monomere zu gewinnen, um eine größere Zahl unterschiedlicher Polymeren für unterschiedliche Anwendungen herstellen zu können.
Bislang liefern die entwickelten und getesteten Hefestämme nur geringe Mengen an Polyestern oder Nährstoffen. Doch die Wissenschaftler arbeiten an einer Steigerung der Produktionsmenge – nicht allein mit dem Fokus auf die Anwendung in der Raumfahrt. Einen sinnvollen Einsatz ihrer biotechnologischen Hefeproduktionsstätten sehen sie zum Beispiel auch im Bereich von Fischzuchten: Omega-3-Fettsäuren erweisen sich nicht nur für uns Menschen als wichtig. Auch Zuchtfischen sind sie eine wertvollen Nahrungsergänzung.
Blenner und sein Team sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die mit biotechnologisch veränderten Hefestämmen arbeiten, um mit ihrer Hilfe etwa die Grundbausteine von Polymeren zu gewinnen. Andere Gruppen nutzen indes offenkundig keine „biologischen Abfälle“, sondern raffinierten Zucker als Nährlösung für ihre Hefestämme. Hier liege der große Unterschied, schreiben die Wissenschaftler. Zudem habe nicht jeder es verstanden, die Hefe anwendungsorientiert in vergleichbarer Weise zu optimieren. GD