Der Nachhaltigkeitsgedanke verlangt nicht allein nach einem bewussten und sparsamen Umgang mit begrenzt vorhandenen Ressourcen, er beflügelt auch die Innovationskraft von Wissenschaft und Unternehmen in puncto Substitution fossiler Ressourcen durch regenerative Roh- und Ausgangsstoffe. Ein Trend, der sich auch in einem Forschungsvorhaben widerspiegelt: In den USA arbeiten Wissenschaftler an einer neuen Methode zur Herstellung von Polyurethan auf Pflanzenölbasis.
Jede Branche hat ihre Herausforderungen. Die der Kunststoff- und Kautschukindustrie liegt unter anderem darin, Energie und Ressourcen effizient und nachhaltig einzusetzen sowie ihr Augenmerk auf die langfristigen Folgen des Einsatzes von und des Umgang mit Kunststoffen zu richten.
Beflügelt wird dieses Vorhaben sowohl von ökologischen wie auch von ökonomischen Aspekten. Wer Energie und Rohstoffe einspart, schützt nicht nur die Umwelt, sondern spart auch Geld. Obendrein setzt der Nachhaltigkeitsgedanke kreatives Potenzial frei, was die Entwicklung neuer Herstellungsverfahren und -methoden beflügelt, aus denen heraus Unternehmen für sich Wettbewerbsvorteile generieren können.
Mit dem heutigen Thema des Monats „Kunststoffe aus Pflanzenöl“ starten wir eine Reihe von Beiträgen, die den Einsatz regenerativer Rohstoffe insbesondere im Hinblick auf die Herstellung polymerer Werkstoffe im Fokus haben. Wir werden allerdings auch darauf blicken, wann und wo es sinnvoll und weitsichtig erscheint, auf den Einsatz von Kunststoffen, etwa zu Gunsten regenerativer Ressourcen, zu verzichten: Kunststoff ist möglicherweise einfach zu wertvoll, um es einem Produkt beizumischen, dessen Lebensdauer nur von kurzer Dauer ist und absehbar in der Abfalltonne oder unkontrolliert in der Umwelt landet, doch dazu später mehr. Dieser Umdenkprozess trägt Früchte und führt in mancher Hinsicht buchstäblich zurück zu den Wurzel, was bedeutet, in bestimmten Fällen werden – erstmals oder vielleicht wieder – regenerative Materialien bevorzugt.
Professor Michael Kessler. Quelle: Washington State University
Attraktive Alternative im Blick
Ein wichtiger – weil nachhaltiger und langfristig sinnvoller – Aspekt ist es, bei der Kunststoffproduktion statt auf Erdöl oder Erdgas auf regenerative Ressourcen zu setzen. Das Lied ist altbekannt, wird allerdings aus Sicht vieler Verfechter des Einsatzes biobasierter Kunststoffe nicht oft genug gesungen. Feldfrüchte beziehungsweise deren Erzeugnisse, im vorliegenden Fall handelt es sich um Pflanzenöle, bilden das Forschungsgebiet einer Gruppe von Wissenschaftlern unter Leitung von Professor Michael Kessler, Direktor der Fakultät für Maschinenbau und Materialentwicklung an der Washington State Universität in Washington/USA. Kessler und Kollegen ist es nach eigenen Angaben auf ganz neue Weise gelungen, unter Einsatz von Oliven- und Leinöl Polyurethane (PU) herzustellen.
Neuer Weg in der Pflanzen basierten Kunststoffproduktion
Laut Professor Kessler wurden im Jahr 2010 rund 14 Millionen Tonnen Polyurethan hergestellt; die Washington State University prognostiziert eine Anwachsen der weltweiten Produktion bis 2016 auf mehr als 18 Millionen Tonnen pro Jahr.
Polyurethan ist ein extrem widerstandsfähiger, verschleißfester und korrosionsbeständiger Kunststoff, der in der Produktion von Schaumstoffen, Autoreifen, Schläuchen und Dichtungsmitteln eingesetzt wird. Bislang wird PU vornehmlich aus Mineralöl hergestellt.
Der Ansatz, Polyurethan auf pflanzlicher Basis herzustellen, ist beileibe nicht neu. Allerdings hat sich die Forschergruppe um Michael Kessler mit ihrer Methode und dem Einsatz von Pflanzenöl auf ein, so wie Kessler es ausdrückt, neues Terrain vorgewagt:
Pflanzliche Öle böten die Herstellung von Materialien mit einer größeren Bandbreite in puncto Flexibilität, Steifigkeit und Formenvielfalt, sind Kessler und Kollegen überzeugt. Zudem erwiesen sich Pflanzenöle als kostengünstig, leicht verfügbar und erneuerbar. Und man sei, last but not least, in der Lage, gentechnisch Anpassungen vorzunehmen.
Polyurethane entstehen durch die Polyadditionsreaktion von Polyisocyanaten mit mehrwertigen Alkoholen, den Polyolen. Dabei erfolgt keine Abspaltung von Nebenprodukten wie bei der Polykondensation. (Quelle: Wikipedia)
Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher Polyurethan auf Basis von Oliven-, Raps-, Traubenkern-, Leinsamen- und Rizinusöl hergestellt. Während man bei der herkömmlichen Herstellung von PU mit mineralölbasierten Lösemitteln zu kämpfen habe, sei es den Wissenschaftlern der Washington State University in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Iowa State in den USA und der Cairo University in Ägypten gelungen, auf den Einsatz von Lösemitteln und Katalysatoren gänzlich zu verzichten.
Ein Blick auf einen grundlegenden Teil der PU-Herstellung: Bei der Polyurethanherstellung werden in einer Reaktion zwei unterschiedliche chemische Verbindungen miteinander kombiniert. Eine davon ist ein Polyol. Zu den Polyolen zählen organische Verbindungen, die mehrere sogenannte Hydroxygruppen (-OH) enthalten; hierbei handelt es sich um eine funktionelle Gruppe, die den reaktiven Charakter der Verbindungen nachhaltig prägt.
Die Anzahl der Hydroxygruppen in einer chemischen Verbindung wird durch die Wortendung angezeigt: Enthält eine Verbindung ein, zwei oder drei Hydroxygruppen, so wird entsprechend die Endung „-ol", „-diol“ oder „-triol“ angehängt; ab vier Hydroxygruppen spricht man im Allgemeinen von einem „Polyol“. Polyole, wie sie die Kunststoffindustrie benötigt, lassen sich petrochemisch, also auf Basis von Mineralöl herstellen, aber auch oleochemisch, sprich vornehmlich aus nachwachsenden Rohstoffen, im vorliegenden Fall aus Pflanzenölen.
Professor Michael Kessler (l.) mit einem Kollegen in Labor. Quelle: Washington State University
Die Ingredienz ist entscheidend, nicht ihre Herkunft
Im Zuge der Polymerisation erhält der Kunststoff sein späteres Eigenschaftsprofil. Im Falle des Polyurethans werden die einzelnen Polyole zu einem dreidimensionalen Netzwerk verknüpft. Wie komplex dieses Netzwerk ist und welche Charaktereigenschaften der spätere Kunststoff besitzt, hängt entscheidend von den reaktiven Stellen im Molekül ab: Manche Öle, Leinöl zum Beispiel, besitzen fünf bis sechs reaktive Stellen; die resultierenden markomolekularen Gebilde sind von eher steifer Natur; andere Öle wiederum, zum Beispiel Olivenöl, verfügen über weniger reaktive Stellen, was einen niedrigeren Vernetzungsgrad nach der Polymerisation zu Folge, was das Material allerdings flexibler macht.
Das besondere an ihrer Vorgehensweise sei die Art und Weise der Herstellung der Polyole, sagt Professor Kessler, ohne sich über chemische Details auszulassen. Der Herstellungsprozess ließe sich allerdings mit dem Lego-Bauprinzip vergleichen: „Die Verbindungen dieser chemischen Gruppe werden einfach zusammengesteckt und ergeben neue Verbindungen“, erklärt der Wissenschaftler.
Die Art und Weise, wie Kessler und Kollegen Polyurethane herstellen, bezeichnen die Wissenschaftler als eine neue Art von Chemie, die auf der Kombination von Rizinusfettsäuren und modifizierten Pflanzenölen fuße.
Als Direktor des Center for Bioplastics and Biocomposites, das die gemeinsamen Forschungsaktivitäten der Washington State University und der Iowa State University mit der Industrie in der Entwicklung biobasierter Kunststoffe bündelt, hofft Professor Kessler, ihre neue Methode möge auf Interesse der Kunststoffbranche stoßen. Das ihre Projekt beachtenswert zu sein scheint, darauf deutet allein die große Aufmerksam hin, die das Projekt bereits erfährt: Es wurde Anfang 2015 mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation, der US-Amerikanische Bundesbehörde zur Unterstützung von Forschung und Bildung sowie von Partnern aus Wissenschaft und Industrie auf den Weg gebracht. Insgesamt haben sich 24 Unternehmen dem Forschungsvorhaben angeschlossen.
Quelle Biobased Polyurethanes Prepared from Different Vegetable Oils, Chaoqun Zhang, Samy A. Madbouly, and Michael R. Kessler, ACS Appl. Mater. Interfaces, 2015, 7 (2), pp 1226–1233, Publication Date (Web): December 26, 2014 (Research Article), DOI: 10.1021/am5071333