Neue Arten von Materialien sind in der Regel teurer oder sind schwer zu bekommen. Wie skalieren Sie neue und innovative Materialien? Wie schaffen Sie das bei Adidas?
Haass: Also, bei Adidas haben wir etwas, das sich Futurecraft nennt. Im Grunde ist dies unsere Art, unsere Türen zu öffnen, um die Menschen sehen zu lassen, wenn unsere Innovation bereits sehr weit fortgeschritten, aber noch nicht vollständig gereift ist. Das haben wir am Anfang mit Parley gemacht – wir haben uns geöffnet und sind zunächst mit einem Konzeptschuh gestartet. Wir haben versucht, die Nachfrage oder den Wunsch nach Recycling dort zu erzeugen, wo sie sonst nicht wäre, wo es finanziell keinen Sinn macht, wie im Fall von Plastikmüll von Stränden oder von kleinen Inselgemeinden. Die richtige Positionierung des Themas erlaubte eine große Skalierung. Indem wir den Aufruf an die Branche richteten und es gleichzeitig für unsere Verbraucher spannend machten, besteht eine größere Nachfrage nach dieser Art von Stories.
Wir müssen jedoch sicherstellen, dass wir nicht nur die Nachfrage nach Ozeanplastik steigern, sondern insgesamt nach Recycling. Deshalb sprechen wir auch über unser recyceltes Polyester Moonshot. Das nutzen wir am meisten und haben uns auch verpflichtet, in jedem Produkt und in jeder Anwendung, in der bis 2024 eine Lösung existiert, ausschließlich 100 % recyceltes Polyester zu verwenden. Wenn Sie diese Aspekte miteinander verbinden – die brillante Geschichte und Visualisierung an der Spitze und dann ein großer Aufruf und Engagement mit der Unterstützung des Moonshot-Materials –, erzeugen Sie mit unserer Angebotsbasis nach außen Nachfrage und Bewusstsein der Verbraucher und mobilisieren Menschen von innen. Der Pull-Effekt zeigt dann schnell Wirkung.
In diesem Bereich haben wir mit Futurecraft ein reproduzierbares Modell erstellt. Mit dem UN Parley Schuh können wir eine Erfolgsbilanz aufweisen - von einem Konzeptschuh bis zur Herstellung von 11 Millionen Paar Schuhen mit Parley Ocean Plastic bis Ende 2019. Sie können wirklich neue Maßstäbe setzen, wenn Sie die Inspiration an der Spitze mit einem großen Moonshot-Plan als Grundlage kombinieren.
Haben Sie Feedback von Einzelhändlern wie beispielsweise Footlocker zu den Projekten erhalten? In Bezug auf die Ästhetik?
Haass: Ja! Was wir bei unseren Großkunden gesehen haben, ist, dass sie alle diese Story wirklich wollen und dass es eigentlich eher darum geht, sicherzustellen, dass diese Geschichte auch richtig rüberkommt. Wir möchten nämlich nicht nur Produkte mit dieser Geschichte verkaufen, sondern auch das Bewusstsein und die Aufklärung über das Problem stärken, das wir damit lösen möchten. Hier kommt Run for the Oceans (RFTO) ins Spiel. RFTO ist die globale Mobilisierungsinitiative von Adidas X Parley, mit der Läufer auf der ganzen Welt dazu ermutigt werden sollen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen und das Bewusstsein für die Bedrohung der Weltmeere durch Plastikverschmutzung zu stärken. 2017 nahmen 60.000 Läufer teil, fast eine Million im letzten Jahr, und 2019 liefen rund 2,2 Millionen Menschen mit. Sie sammelten 1,5 Millionen US-Dollar, die wir in das Parley Ocean Schools Bildungsprogramm investieren. Das Programm unterstützt die nächste Generation im Kampf für gesündere Weltmeere und einen sauberen Planeten.
Für uns geht es also nicht um mangelnde Nachfrage, sondern mehr darum, sicherzustellen, dass die Geschichte auf einer ganzheitlichen Basis ankommt. Tatsächlich sind wir es, die hinterherrennen und versuchen, Schritt zu halten. Das passiert, wenn man sich zu einem frühen Zeitpunkt mit Futurecraft öffnet. Unser Aufruf hat sowohl unsere Großhändler wie Dicks und Footlocker sowie unsere wichtigsten Lieferanten angespornt. Die Leute kommen danach auf Sie zu und sagen: "Schauen Sie, ich sehe Ihr Engagement dafür und wir sind bereit, mit Ihnen zu skalieren." Ich denke, die Kraft steckt darin, etwas herauszubringen, bevor es perfekt oder zu 100 % fertig ist, um den Pull zu erzeugen.
Haben Sie Fallstudien abgesehen von Adidas, von der Sie inspiriert wurden und die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt?
Haass: Wow, da gibt es so viele. Also ich spreche hier nur von mir persönlich, aber einige Autofirmen ändern unsere Einstellung in Bezug auf Elektromobilität. Tesla war diesbezüglich schon ziemlich früh im Rennen, aber mittlerweile gibt es noch mehr Anbieter. Was ich an diesem Moment so besonders spannend fand, ist, dass es früher ja schon ein perfekt funktionierendes Elektroauto gab, aber diese Autos haben sich nicht in erster Linie durch Attraktivität ausgezeichnet, sodass viele Verbraucher das Gefühl hatten, ein Opfer bringen zu müssen, um an ihren Werten festzuhalten. Der Erfolg von Tesla bestand darin, den Übergang zu Elektroautos 10 bis 20 Jahre nach vorne zu katapultieren, da die Firma Attraktivität bei gleichzeitiger Bereitstellung von Verfügbarkeit zu ihrem Schwerpunkt gemacht hat. Wenn wir das Glück haben, eine gleiche Entwicklung und Beschleunigung beim Übergang zu nachhaltigen Konsumgütern loszutreten, eine schnellere und stärkere Abkehr von Neukunststoff einleiten und es gemeinsam schaffen, mit der Natur eine Schleife zu bilden, dann würde ich das einen Erfolg nennen.