Herr Pianegonda, welche speziellen Herausforderungen sehen Sie beim Einsatz von Rezyklaten in der Medizintechnik?
Lucas Pianegonda: Eine Herausforderung sind die Anforderungen an die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Medizinprodukte. Medizinprodukte müssen sicher und leistungsfähig sein, das schreibt die Medical Device Regulation vor. Die Anforderungen an die Produkte aus Rezyklaten sind genau gleich wie bei herkömmlichen Neuwarematerialien, die Umsetzung ist dabei aber stark dem Hersteller überlassen. Das heißt, die Hersteller müssen ein sicheres und effektives Medizinprodukt produzieren und das Risiko- und Qualitätsmanagement im Griff haben – aber wie das im Detail aussieht, das ist dem Inverkehrbringer überlassen. Es wird nichts vorgeschrieben, aber sie werden auch nicht an die Hand genommen. Das bedeutet, das Qualitäts- und Risikomanagement ist bei den Rezyklaten eigentlich die größte Herausforderung.
Die zweite Herausforderung ist, dass die Hersteller von recycelten Kunststoffen meistens aus dem Abfallmanagement kommen und daher nicht so nah an der Kunststofftechnik oder an der Medizintechnik sind. Die Herausforderung ist hier, dass die beiden Stakeholder (Recycler und Medizintechnik) miteinander sprechen und einander sagen, was ihre Schwierigkeiten sind und wie diese entsprechend gelöst werden können. Für den Recycler ist die Herausforderung, den Abfall so zu trennen und zu waschen, dass die Qualität des Rezyklats für die Medizintechnik reicht. Diese wiederum hat gewisse Anforderungen an die Dokumentation (technische Datenblätter, regulatorische Dokumente, etc.), die die Recycler von sich aus kaum haben oder bereitstellen.
Die dritte Herausforderung ist die Akzeptanz innerhalb der Medizintechnik. Das Sicherheitsbedürfnis ist sehr hoch und es gibt auch festgefahrene Meinungen, dass der Einsatz von Rezyklaten nicht machbar ist. Da muss man noch etwas Überzeugungsarbeit leisten.
Wo im Gesundheitssektor können aktuell schon Rezyklate eingesetzt werden?
Pianegonda: Grundsätzlich können Rezyklate überall eingesetzt werden, wo das Risikomanagement es erlaubt. Völlig bedenkenlos können sie also dort sicher eingesetzt werden, wo kein direkter Patientenkontakt bzw. Blutkontakt o.ä. stattfindet. Ein typisches Beispiel ist eine Gehhilfe: Sie kann bedenkenlos eingesetzt werden, ohne den Patienten einem Risiko auszusetzen – das größte Risiko wäre hierbei, dass die Gehhilfe bricht. Dieses Risiko kann sehr gut durch Wareneingangs- und -ausgangskontrollen kontrolliert werden.
Auf der anderen Seite des Produktspektrums stehen langlebige Implantate, die 15 Jahre oder mehr im Körper verbleiben. Hier gibt es nur eine Handvoll Neuwarehersteller, die sich trauen, implantierbare Kunststoffe überhaupt anzubieten. Das bedeutet: Wenn sich die meisten Neuwarehersteller nicht an Implantate trauen, können wir ausschließen, dass Rezyklate irgendwann für Implantaten genutzt werden. Das ist aber auch nicht wirklich das, wozu sie genutzt werden sollten. Die Einsatzgrenze ist irgendwo zwischen Gehhilfen und Implantaten. Meiner Meinung nach wäre eine gute Anwendung für Rezyklate beispielsweise bei Verbrauchsgütern mit kurzem Patientenkontakt. Hier wird viel Kunststoff eingesetzt und man hat einen guten Hebel bezüglich des Umwelteinflusses.
Wie beeinflusst die CSRD die Entscheidungen und Strategien von Unternehmen in Bezug auf die Nutzung von Rezyklaten in der Medizintechnik?
Pianegonda: Im Grundsatz bedeutet diese Regulierung, dass die Unternehmen ihren Umwelteinfluss messen und diesen berichten müssen. Schritt für Schritt wird von ihnen dann verlangt, dass sie ihren CO2-Ausstoß reduzieren. Rezyklate einzusetzen hat in diesem Zusammenhang dann den Vorteil, dass sie – zumindest mit mechanischen lösungsbasierten Recyclingmethoden – den CO2-Fußabdruck der Kunststoffe senken. Für die Medizintechnikunternehmen heißt das, dass sie hier einen Hebel zur CO2-Reduktion haben. Denn sie sammeln 80 bis 90 Prozent ihres CO2-Ausstoßes in Scope 3, also dort, wo die Supply Chain und damit die Zulieferer und Kunden reinfallen. Das heißt, die an dieser Stelle eingekauften Materialien können den Umwelteinfluss positiv beeinflussen – und dabei helfen die Rezyklate enorm.