Bislang arbeiten die meisten chemischen Recycler mit Polyolefinen, die auch im mechanischen Recycling gut zu verarbeiten sind. Warum kümmern sie sich nicht um komplexere Kunststoffe?
Renner: Die Unternehmen gehen derzeit auf Stoffströme, bei denen sie die realistische Erwartung haben, damit mittelfristig Gewinn erzielen zu können. Man fängt nicht gleich mit den schwierigsten Materialien an und investiert hohe Summen in Anlagen, ohne zu wissen, ob man sie wirtschaftlich nutzen oder vermarkten
kann. Die Technologie ist nicht das Problem. Vielmehr muss man Kapazitäten aufbauen und sich die Rohstoffströme schrittweise erschließen. Natürlich kann man im chemischen Recycling auch komplexe Stoffströme verarbeiten und zu hohen Qualitäten kommen, aber da ist der Aufwand für die Fraktionierung eben viel höher. Und solange der Rohstoff Öl günstig ist, macht das wirtschaftlich wenig Sinn.
Welche Rolle hat die Politik in dieser Gemengelage?
Renner: Wir haben etablierte und hocheffiziente Wertschöpfungsketten in der Kunststoffindustrie. Wenn die in eine gut funktionierende Kreislaufwirtschaft überführt werden soll, geht das nicht ohne politische Leitplanken. Es handelt sich schließlich um ein komplett neues Wirtschaftssystem. Jetzt kommt das Henne-Ei-Dilemma: Die Politik möchte nicht zu stark regulieren, damit der Markt nicht kaputt geht, bevor etwas Neues da ist. Aber ein neuer Markt wird nur entstehen, wenn es legislative Leitplanken gibt, weil er nicht ökonomisch selbsterklärend ist. Genau da stehen wir gerade. Man muss sich bewusst sein, dass die Transformation ein Prozess über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ist.
Und konkret?
Renner: Auch hier gibt es keine einfachen Faustformeln. Aber eine Regulierung sollte unbedingt produktgruppenspezifisch sein. Man muss sich Stück für Stück ansehen, was für welche Branche und für welche Produkte möglich, sinnvoll und umsetzbar ist. Es sollten auch keine Technologien vorgeschrieben oder begünstigt werden. Beispielsweise mechanisches und chemisches Recycling sollten nicht getrennt, sondern gemeinsam betrachtet werden. Dazu gehört auch das Massenbilanzverfahren. Kundengruppen, die einen echten recycelten Content wollen, müssen genau diesen Kunststoff zur Verfügung gestellt bekommen. Anderen Kundengruppen reicht es vielleicht völlig aus, wenn auf einer Handyschale steht, dass sie zu X Prozent massenbilanziert recycelt wurde.
Wird die Kreislaufwirtschaft ein Erfolg?
Renner: Das hängt davon ab, was uns die Defossilisierung wert ist. Rein ökonomisch wäre es ja eher sinnvoll, hochgradig auf Effizienz ausgelegte lineare Wertschöpfungsketten so zu lassen, wie sie sind. Wenn uns die Bekämpfung des Klimawandels aber sehr wertvoll ist, dann müssen wir auch bereit sein, unser Verhalten zu ändern und die Kosten zu akzeptieren. Die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft wird Billionen kosten, aber sie bietet auch immense wirtschaftliche Chancen. Die verschiedenen Recyclingverfahren, Sortierungsverfahren, Markierungsverfahren sind wegweisende Zukunftstechnologien – die sich als System international exportieren lassen. Dann wird daraus auf einmal ein sehr positives Gesamtkonzept. Man investiert, aber man erschließt auch signifikante internationale Märkte. Eine große Chance für deutsche Unternehmen verschiedenster Branchen.