Chemische Sollbruchstellen in Polymerketten

08.03.2023

Hochdichtes Polyethylen (HDPE) begegnet uns jeden Tag, beispielsweise als Waschmittel-Packung oder Folien. Es zeichnet sich dadurch aus, besonders stabil und widerstandsfähig zu sein. In Sachen Nachhaltigkeit hat es allerdings noch einiges aufzuholen, denn die hohe Stabilität geht häufig mit einer schlechten Abbaubarkeit einher.

Professor Stefan Mecking und seinem Team ist es an der Universität Konstanz gelungen, dieser Eigenschaft zu begegnen: Sie bauen chemische Sollbruchstellen in die Polymerketten ein. So entstehen Ansatzstellen für das Aufbrechen der Struktur beim Recycling, ohne die stabile Struktur zu stören. Im Interview erklärt Stefan Mecking, mit welchem Polyester das besonders gut funktioniert und wann der neu erforschte Kunststoff zum Einsatz kommen könnte.

Professor Mecking, was ist das "Problem" der biobasierten Kunststoffe, die derzeit auf dem Markt sind?

Stefan Mecking: Ein pauschales Problem haben biobasierte Kunststoffe sicherlich nicht. Die Etablierung neuer Produktionsverfahren und einer alternativen Rohstoffbasis gegenüber den über Jahrzehnte optimierten bestehenden petrochemischen Verfahren ist sicherlich eine Herausforderung.

Unser Interesse innerhalb dieses weiten Feldes sind Kunststoffe, welche kristallin und strukturell ähnlich zu HDPE sind, aber unter milden Bedingungen chemisch rezykliert werden können und in der Umwelt nicht-persistent sind.

Welche Lösung haben Sie für dieses Problem gefunden und inwiefern macht dies Kunststoffe nachhaltiger?

Polyethylen wurde 1898 von dem Chemiker Hans von Pechmann entdeckt. Doch erst Jahrzehnte später (1940) konnte ein wirtschaftlich rentables Herstellungsverfahren etabliert werden. 1953 entwickelten der Deutsche Karl Ziegler und der Italiener Giulio Natta den Ziegler-Natta-Katalysator. Zehn Jahre später erhielten sie dafür den Nobelpreis für Chemie.

Mecking: Aufbauend auf unsere Arbeiten der letzten Jahre haben wir gefunden, dass dieses Eigenschaftsprofil mit Polyester-2,18 erreicht werden kann, welcher aus kommerziell verfügbaren Monomeren zugänglich ist. Wir waren überrascht, wie schnell dieses Material unter Laborbedingungen durch natürlich vorkommende Enzyme abgebaut wird, und unter den Bedingungen industrieller Kompostierung mineralisiert wird. Für uns sind dieses aber Indikatoren für die Abbaubarkeit, wir zielen nicht in erster Linie auf Anwendungen, welche im industriellen Kompost enden.

Seit 1957 wird Polyethylen in großen Mengen verwendet, beispielsweis in Rohrleitungs- systemen für die Gas- und Wasserversorgung. In der Raumfahrt eignet es sich wegen seines hohen spezifischen Strahlungsabsorbtions- vermögens zum Schutz vor Teilchenstrahlung. Die NASA setzt Polyethylen seit den ersten Shuttle-Missionen dafür ein.

Wann könnte Ihr neu erforschter Kunststoff zum Einsatz kommen?

Mecking: Unter den aktuellen Rahmenbedingungen sind Polyolefine preislich schwer zu schlagen. Wie sich die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich echter Rezyklierung, jenseits von einmaligem 'Downcycling', in den nächsten Jahren entwickeln, wird aber für alle interessant sein. Jenseits dessen sind bestimmte Anwendungen, in welchen das Material vorteilhafte Eigenschaften aufweist, auch jetzt schon aktuell, beispielsweise im Bereich des 3D-Drucks.

Welche weiteren Schritte folgen in Ihrer Forschung noch?

Mecking: Wir untersuchen aktuell – teils mit Partnerinnen und Partnern – die Eignung für spezielle Verarbeitungsmethoden und Anwendungen. Zudem quantifizieren wir den Abbau auch in anderen Umgebungen, wie Böden oder Seewasser.

Was denken Sie, welches Potenzial Biokunststoffe in Zukunft haben?

Mecking: Die Bedeutung von Kunststoffen aus nicht-fossilen Rohstoffen wird sicherlich weiter zunehmen.