Kleidung im Kreislauf: weltweit erstes enzymatisch recyceltes Kleidungsstück

Carbios, ein führendes französisches Biotechnologieunternehmen, steht an der Spitze der Innovation im Kunststoffrecycling. Mit einem enzymatischen Recyclingverfahren ermöglicht das Unternehmen, PET-basierte Textilien in ihre ursprünglichen Bausteine zu zerlegen und wiederzuverwenden – eine Grundlage für eine echte Kreislaufwirtschaft.

Im Interview mit dem K-Mag erklärt Alain Martin, Chief Scientific Officer von Carbios, die Wissenschaft hinter dieser Technologie, deren Anwendung in der Textilindustrie und das Potenzial, unseren Umgang mit Abfällen grundlegend zu verändern.

PET ist ein häufig verwendetes Material in Textilien. Was macht es so schwierig zu recyceln?

Alain Martin: PET ist ein grundlegendes Material in modernen Industrien, insbesondere in Textilien und Verpackungen. Jedes Jahr werden etwa 100 Millionen Tonnen PET produziert, wobei fast zwei Drittel in Textilien wie Polyesterstoffen verwendet werden. Obwohl PET theoretisch recycelbar ist, gestaltet sich die Realität weitaus komplexer.

Im Gegensatz zu PET-Flaschen, die relativ einfach zu recyceln sind, bestehen Textilien häufig aus Materialmischungen wie Baumwolle, Polyamid oder Elastan. Darüber hinaus werden sie gefärbt und chemisch behandelt. Diese Faktoren erschweren ein effizientes Recycling von PET-basierten Textilien. Dadurch hinkt die Textilindustrie im Vergleich zur Verpackungsindustrie bei Kunststoffrecyclinglösungen hinterher.

Was unterscheidet die enzymatische Recyclingtechnologie von Carbios von herkömmlichen Methoden?

Alain Martin: Traditionelle Recyclingmethoden wie thermomechanisches und chemisches Recycling stoßen an ihre Grenzen. Das thermomechanische Recycling verschlechtert die Materialqualität mit jedem Zyklus, und chemische Verfahren erfordern oft harsche Bedingungen und produzieren Sekundärabfälle.

Unser enzymatischer Recyclingprozess verwendet hochspezifische Enzyme als "molekulare Scheren", um PET in seine grundlegenden Bausteine – Terephthalsäure (PTA) und Monoethylenglykol (MEG) – zu zerlegen. Was unseren Prozess einzigartig macht, ist seine Präzision: Unser Enzym ist so entwickelt, dass es nur PET angreift, während andere Textilbestandteile wie Baumwolle oder Polyamid unberührt bleiben. Dadurch erreichen wir eine hohe Reinheit des recycelten Materials, das zu neuen Textilien oder sogar lebensmitteltauglichen Verpackungen verarbeitet werden kann, ohne an Qualität zu verlieren.

Wie trägt dieser Prozess zur Nachhaltigkeit und zur Kreislaufwirtschaft bei?

Alain Martin: Unser enzymatischer Prozess passt perfekt zu den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden arbeitet er bei wesentlich niedrigeren Temperaturen – etwa 65°C im Vergleich zu den 200°C, die für das thermomechanische Recycling erforderlich sind. Dadurch wird der Energieverbrauch erheblich reduziert, was den CO₂-Fußabdruck des Prozesses verringert.

Zudem minimiert die hohe Selektivität unseres Enzyms Abfälle und Nebenprodukte, was zu einem saubereren und nachhaltigeren Recyclingprozess führt. Indem PET-Abfälle in reine Rohstoffe umgewandelt werden, die unendlich oft wiederverwendet werden können, schließen wir den Kreislauf für Polyesterprodukte. Textilien können so mehrfach recycelt werden, ohne an Qualität einzubüßen.

Welche spezifischen Herausforderungen gibt es bei der Anwendung dieser Technologie auf Textilien, und wie hat Carbios diese gemeistert?

Alain Martin: Textilien sind weit komplexer als PET-Flaschen, da sie aus vielfältigen Materialmischungen, Färbetechniken und chemischen Behandlungen bestehen. Diese Faktoren stellen besondere Herausforderungen dar, um PET abzubauen und gleichzeitig andere Materialien intakt zu lassen.

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, haben wir mit großen Marken wie Patagonia, Puma und Salomon zusammengearbeitet, um unsere Technologie an realen Textilabfällen zu testen. Diese Partnerschaften ermöglichten es uns, unseren Prozess mit postindustriellen Textilproben zu verfeinern, die die Vielfalt des Marktes widerspiegeln. Zum Beispiel haben wir 11 verschiedene Textilproben verwendet, um unser erstes biorecyceltes T-Shirt herzustellen – ein Beweis für die Robustheit und Vielseitigkeit unseres Prozesses.

Innovative Technologien zu skalieren, ist oft eine Herausforderung. Wie hat Carbios diesen Übergang gemeistert?

Alain Martin: Der Übergang vom Labor- zum Industrie-Maßstab ist immer eine kritische Herausforderung für neue Technologien. Bei Carbios haben wir unseren enzymatischen Prozess in drei Phasen skaliert: Labor-, Pilot- und Demonstrationsmaßstab.

Unsere Demonstrationsanlage in Frankreich kann bis zu zwei Tonnen PET-Abfälle pro Charge verarbeiten – das entspricht etwa 100.000 Flaschen oder 20.000 T-Shirts. Bemerkenswert ist, dass die Kinetik der enzymatischen Reaktion unabhängig von der Reaktorgröße konstant bleibt. Diese Skalierbarkeit erleichtert die Integration unseres Prozesses in industrielle Umgebungen.
Derzeit bauen wir unsere erste voll skalierte Industrieanlage im Nordosten Frankreichs. Mit einer Reaktorkapazität von 350 Kubikmetern wird diese Anlage jährlich 50.000 Tonnen PET-Abfall verarbeiten können.

Was hält die Zukunft für Carbios und das enzymatische Recycling bereit?

Alain Martin: Unser unmittelbarer Fokus liegt auf der Fertigstellung der Industrieanlage und dem Nachweis der Skalierbarkeit unseres Prozesses. Darüber hinaus planen wir, unsere Technologie weltweit zu lizenzieren. Asien ist ein besonders wichtiger Markt für uns, da die Region eine dominierende Rolle in der Textilproduktion spielt. Länder wie China, Vietnam und Südkorea werden entscheidend sein, um das zirkuläre Textilrecycling auszuweiten.

Wir schätzen, dass Verbraucher biorecycelte Kleidungsstücke bis 2027 oder 2028 in den Geschäften sehen könnten. Unser ultimatives Ziel ist es, das enzymatische Recycling zu einer weit verbreiteten und wirtschaftlich tragfähigen Lösung zu machen – nicht nur für Textilien, sondern auch für andere Industrien, die auf PET angewiesen sind.