Wie unterscheiden sich Kunststoff-Batterien grundsätzlich von klassischen Lithium-Ionen-Systemen in Aufbau und Funktion?
Esser: Bei Lithium-Ionen-Batterien gibt es zwei Elektrodenmaterialien, die abwechselnd zusammen mit der Aufnahme von Elektronen auch Lithium-Ionen aus dem Elektrolyten aufnehmen. Die Lithiumionen wandern zwischen Ladung und Entladung zwischen positiver und negativer Elektrode hin und her, daher hat die Batterie ihren Namen. Bei Batterien, in denen ein Kunststoff eines oder beide der Elektrodenmaterialien ersetzt, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Der Kunststoff kann nach Aufnahme von Elektronen ebenfalls ein Metallion (z.B. ein Lithiumion) aus dem Elektrolyten aufnehmen, dann wäre es ein sogenanntes n-Typ-Material. Oder der Kunststoff kann ein Elektron abgegeben (dabei oxidiert werden) und zur Kompensation der Ladung ein Anion aus dem Elektrolyten aufnehmen. Das wäre der Fall bei einem p-Typ-Material. Diese zweite Materialklasse ist sehr häufig bei organischen Elektrodenmaterialien, aber bei anorganischen Materialien nur selten anzutreffen. Ein Beispiel aus der Anorganik ist Graphit. In der Entwicklung einer Batteriezelle kann man nun grundsätzlich sowohl p- als auch n-Typ organische Elektrodenmaterialien in Form von Kunststoffen einsetzen, und dadurch verschiedene Konfigurationen in Bezug auf die Bewegung der Ionen in der Batterie erhalten.
Mit Kunststoffen als Elektrodenmaterialien ist es auch möglich, die Lithiumionen durch andere Metallionen zu ersetzen, die eine günstigere geografische Verfügbarkeit haben. Hier arbeiten wir, unter anderem im Exzellenzcluster POLiS, an der Universität Ulm intensiv an multivalenten Metallbatterien basierend auf Aluminium oder Magnesium statt Lithium.
Welche Kriterien müssen polymere Materialien erfüllen, um für Batterien geeignet zu sein?
Esser: Das wichtigste Kriterium ist die Redoxaktivität, d.h. das Material muss reversibel Elektronen aufnehmen (n-Typ Material) oder abgeben (p-Typ Material) können. Dafür sind redoxaktive Gruppen im Material notwendig, z.B. konjugierte Chinone oder aromatische Heterozyklen. Z.T. sind das Einheiten, die auch in vielen Naturstoffen auftauchen.
Ein zweites wichtiges Kriterium ist, dass das Material unlöslich im flüssigen Elektrolyten der Batterie ist. Batterieelektrolyte sind sehr polare Lösungsmittel, die das in der Batterie notwendige Leitsalz (z.B. ein Lithiumsalz) in Lösung bringen müssen. Allerdings dürfen sie nicht das organische Elektrodenmaterial auflösen, sonst würde es zu einem Kurzschluss der Batterie kommen. Aus diesem Grund werden die oben erwähnten redoxaktiven Gruppen in ein Polymer eingebaut, das zusätzlich oft noch quervernetzt wird. Dadurch erhält man ein verknüpftes Netzwerk des Redoxpolymers, das so in der Elektrode immobilisiert bleibt. Diese Art der Quervernetzung kommt auch bei herkömmlichen Kunststoffen zum Einsatz.
Weitere Kriterien sind ein Redoxpotential, das entsprechend der Konfiguration der Batterie zu einer attraktiven Zellspannung führt. Die gewünschte Zellspannung hängt von der Anwendung der Batterie ab. Oft sind organische Elektrodenmaterialien mit hohem Redoxpotential erwünscht, wenn z.B. eine Metallelektrode als Gegenpol verwendet wird.
Wie gelingt es Ihnen, die Eigenschaften der Kunststoffe gezielt anzupassen?
Esser: Die organische Synthesechemie bietet hier vielfältige Möglichkeiten. Wenn eine redoxaktive Gruppe einmal identifiziert ist, die reversibel reduziert oder oxidiert werden kann, dann kann durch chemische Modifikation, z.B. das Anbringen von Substituenten, das Redoxpotential angepasst werden. Ebenso kann diese Gruppe durch chemische Modifikation in eine polymere Struktur eingebaut werden, um die Unlöslichkeit im Batterieelektrolyten zu erzielen. Manchmal ist es auch so, dass Zersetzungsprozesse des Elektrodenmaterials während seiner Nutzung in der Batterie im Detail untersucht werden und Aufschluss über empfindliche Positionen in der organischen Molekülstruktur geben. Dann können diese Positionen modifiziert werden durch Änderung der Molekülstruktur, und das kann zu einem stabiler zyklisierbaren Elektrodenmaterial führen.
Wo sehen Sie aktuell die größten Anwendungsfelder für Kunststoff-Batterien?
Esser: Es gibt zum einen den Bereich der stationären Energiespeicherung, wo ein großes Wachstum an Bedarf in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten ist. Hier sind die Kriterien u.a. geringe Kosten, keine Toxizität, hohe Sicherheit und Langlebigkeit, und da sehe ich viel Potential für organische Elektrodenmaterialien, z.B. auch in Kombination mit „post-Lithium“-Metallen. Zum anderen bieten Kunststoffe einzigartige Eigenschaften in ihrer Verarbeitbarkeit sowie mechanischen Flexibilität. Sie sind daher auch exzellente Kandidaten für dünne, biegbare und druckbare Batterien für Anwendungen mit geringer Kapazitätsanforderung, aber strikten Vorgaben zum Zelldesign der Batterie.