Medizin trifft Materialinnovation: Wie smarte Kunststoffe die Medizintechnik voranbringen

Von künstlichen Muskeln über sensorische Textilien bis hin zu einer Hornhaut aus dem Drucker – aktuelle Forschungsprojekte zeigen, wie vielseitig moderne Polymermaterialien heute in der Medizin eingesetzt werden. Flexibel, biokompatibel und präzise verarbeitbar, eröffnen sie neue Wege für Diagnostik, Therapie und Pflege.

Viele dieser Entwicklungen stehen exemplarisch für das, was Besucherinnen und Besucher auf der K - der Weltleitmesse der Kunststoff- und Kautschukindustrie live erleben können: smarte Materialien, die medizinische Innovationen ermöglichen

Moderne Medizin kommt kaum noch ohne Kunststoffe aus. Was für viele nach Alltagsmaterial klingt, ist in Wirklichkeit ein Schlüssel zur Zukunft der Gesundheitsversorgung: formbar, anpassungsfähig, hygienisch und zunehmend nachhaltig.

Besonders deutlich zeigt sich das in aktuellen Forschungsprojekten: Neue Verfahren wie der 3D-Druck ermöglichen Strukturen, die sich wie echte Muskeln bewegen. Sensorische Textilien denken mit. Und Kunststoff wird zum Material, das Leben schützt und in manchen Fällen sogar retten kann.

Forschende der Empa und der ETH Zürich haben ein Verfahren entwickelt, mit dem künstliche Muskeln, sogenannte dielektrische elastische Aktoren, aus silikonbasierten Materialien im 3D-Druck gefertigt werden. Diese Aktoren sind weich, elastisch und dennoch kraftvoll. Ähnlich wie echte Muskelfasern, ziehen sie sich unter elektrischer Spannung zusammen und entspannen sich wieder.

Die Vision: medizinische Anwendungen wie haptische Handschuhe für virtuelle Therapien, Mikropumpen oder sogar künstliche Herzen. Ein Schritt in Richtung biomedizinischer Aktoren, der dank funktionaler Kunststoffe Realität wird.

Auch im Bereich der medizinischen Textilien zeigt sich die Vielseitigkeit von Kunststoffen. Jenny Liebelt und Nadine Liebig vom Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz entwickeln sensorische Hightech-Gewebe, die Druck, Feuchtigkeit und Temperatur erfassen, integriert in Polster oder Pflegebetten.

Ein Highlight: Textilsensoren aus polymeroptischen Fasern, die als Feedbacksysteme Pflegepersonal frühzeitig über kritische Zustände informieren. Ein Paradebeispiel für die Verbindung von Materialinnovation, Digitalisierung und praktischer Relevanz.

In der Neonatologie wird das Potenzial intelligenter Materialien besonders deutlich. Gemeinsam mit dem Kinderspital Zürich hat ein Team der Empa eine Matratze für Frühgeborene entwickelt, die auf Druckverhältnisse reagiert. Eine flexible Polymermembran passt sich sensiblen Körperregionen an und reduziert den Auflagedruck um bis zu 40%.

Die dreikammerige Struktur, ausgestattet mit präziser Sensorik, wurde speziell für die empfindliche Haut von Neugeborenen konzipiert. Ein Beitrag zur sicheren und schonenden Versorgung der Kleinsten.

Auch bei Implantaten zeigt sich die Rolle von Kunststoffen: Die künstliche Hornhaut "EndoArt", entwickelt in Israel und seit 2021 in Europa zugelassen, kommt in besonderen Fällen zum Einsatz, z.B. bei Patientinnen und Patienten, bei denen menschliche Transplantate versagt haben.

EndoArt besteht aus hydrophilem Acrylat, das keine Abstoßungsreaktionen auslöst. Zwar erreicht das Implantat nicht die Sehschärfe eines Spendergewebes, doch die klare Hornhaut und reduzierte Schwellung verbessern die Lebensqualität deutlich. Implantiert wird die Hornhaut in spezialisierten Zentren, ein Beispiel für hochpräzise Kunststoffanwendungen im sensibelsten Bereich der Medizin.

An der TU Wien arbeiten Forschende an einer Methode zur Herstellung von Ersatzgewebe aus biologisch abbaubarem Kunststoff. Mithilfe eines speziellen 3D-Druckverfahrens werden poröse Mikrokügelchen produziert, die mit Zellen besiedelt werden.

Diese "Mini-Gerüste" wachsen zu gleichmäßigem Knorpelgewebe zusammen und ist ideal für den Einsatz in der regenerativen Medizin. Die Kunststoffstruktur baut sich dabei nach und nach selbst ab, sodass nur das lebende Gewebe bleibt. Eine Lösung mit großem Potenzial, etwa für Gelenkchirurgie oder personalisierte Therapieansätze.

Die hier vorgestellten Projekte machen deutlich: Ohne moderne Kunststoffe wäre der Fortschritt in der Medizintechnik kaum denkbar. Von smarten Textilien über bioaktive Implantate bis hin zu vollständig druckbaren Muskel- oder Knorpelstrukturen. In diesem Fall schlägt Materialforschung die Brücke zwischen Hightech und Heilung.

Dabei stehen nicht nur Funktionalität und Präzision im Vordergrund, sondern zunehmend auch Fragen der Nachhaltigkeit, Wiederverwertbarkeit und individuellen Anpassbarkeit. Kunststoff ist heute mehr als ein Werkstoff. Er ist ein aktiver Bestandteil der medizinischen Zukunft.